@ E.R.O.S.
erwiderte er, er würde sich auch darum kümmern. So verlegen es mich auch machte, ich war erleichtert, daß er mir keine genauen Fragen darüber stellte, wer Erin umgebracht haben mochte. Entweder verdächtigte er Patrick und wollte diesen Argwohn nicht äußern, oder er ahnte die Wahrheit und wollte mich nicht während eines Ferngesprächs zur Rechenschaft ziehen. Nachdem er aufgelegt hatte, wurde mir klar, daß Erins Tod eine Tragödie war, die Bob im Lauf der Jahre wahrscheinlich oft durchgespielt hatte.
Jetzt weiß ich, daß ich sie ebenfalls durchgespielt habe, wie wir es bei allen Freunden tun, deren Leben vom Zufall beherrscht wird oder die von Dämonen getrieben werden. Doch daß sie auf diese Weise sterben würde, ruft bei mir den Eindruck hervor, als sei sie vom Schicksal in einen Hinterhalt gelockt worden, so ähnlich, als hätte ein Verwandter seine Krebserkrankung nur überlebt, um dann von einem Lastwagen überfahren zu werden.
Während ich meine zitternden Hände beruhige, hebe ich den Hörer ab und wähle die Nummer der Andersons.
»Hallo?« sagt Margaret. »Erin?«
Ich komme mir vor, als sei ich mit einer zweiten Welt verbunden, in der Ereignisse erst nach einer verwirrenden Zeitverzögerung bekannt werden. Ich gehe mit dem Telefon ins Badezimmer, ziehe die Tür zu und sage: »Hier ist Harper, Miss Margaret.«
»Oh. Ist Erin da? Sie hat mir gesagt, ich solle nicht anrufen, aber es wird spät. Ich mache mir solche Sorgen, daß ich sicher bald eine Migräne bekomme, Harper. Sie hat sich so seltsam benommen.«
Halte deine Stimme ruhig , sagt mein Instinkt. Eine Mutter spürt eine Gefahr für ihr Kind, wie ein Hai Blut riecht. »Erin ist nicht hier, Miss Margaret. Drewe auch nicht. Sie sind zum Einkaufen nach Jackson gefahren. Sie haben eine Nachrichthinterlassen, aber nicht gesagt, was sie kaufen wollen.« Ich halte inne. »Wann hast du mit Erin gesprochen?«
»Sie rief mich gegen halb vier an und fragte, ob ich Holly nehmen könne, weil sie mit Drewe etwas besprechen müsse.«
Mein Herzschlag setzt einmal aus und rast dann geradezu.
»Du kennst mich ja«, fährt Margaret fort, »ich wollte mich nicht einmischen, also habe ich keine Fragen gestellt.«
»Holly ist bei dir?«
»Ja, sicher. Sie hatte solch einen Hunger, daß ich ihr schließlich was zu essen gemacht habe. Ich weiß, Erin nimmt es sehr genau, was die Kleine ißt, aber ich hatte nichts Gesundes da, also habe ich ihr eine Pizza in den Backofen geschoben. Erin wird es einfach hinnehmen müssen.«
Zum erstenmal an diesem Abend steigen mir Tränen in die Augen.
»Das ist bestimmt in Ordnung, Miss Margaret.«
Diesmal erwidert sie nichts. Als ich gerade fortfahren will, platzt sie heraus: »Harper, wird Erin Patrick verlassen?«
Sie hat ihn bereits verlassen , sagt eine irrwitzige Stimme in meinem Kopf. »Das weiß ich nicht, Miss Margaret. Ich glaube, sie haben ein paar Probleme gehabt.«
»Sie darf ihn nicht verlassen, Harper. Sie darf es einfach nicht. Der Junge küßt doch den Boden, über den sie gegangen ist. Ich möchte, daß du mit ihr sprichst, vielleicht hört sie auf dich.«
Ich drücke das Telefon so fest, daß die Haut auf meinem Handrücken sich anfühlt, als würde sie jeden Augenblick reißen. »Ich werde tun, was ich kann, Miss Margaret. Ich glaube, du tust, was in deinen Möglichkeiten steht, indem du einfach auf Holly aufpaßt. Wenn sie müde wird, steck sie doch einfach bei euch ins Bett.«
Erneutes Schweigen. Dann: »Ich habe verstanden. Na schön, das tue ich. Und du tust, was in deinen Kräften steht, um diesen Schlamassel in Ordnung zu bringen.«
»Ja, Ma’am. Bye.«
»Bye-bye.«
Mein Herz rast noch immer, aber meine Hände sind ruhiger. Holly ist in Sicherheit. Das wäre zumindest geregelt. So leise wie möglich schlüpfe ich ins Schlafzimmer zurück. Drewes Brust hebt und senkt sich unter der dünnen Decke mit beruhigender Regelmäßigkeit. Da ich sie nicht wecken will, nehme ich auf einem harten hölzernen Schaukelstuhl in einer Ecke Platz und setze meine Nachtwache fort.
Warum in Gottes Namen ist Erin zu uns gekommen? Wenn sie ihre Mutter um halb vier angerufen hat, muß dies unmittelbar geschehen sein, nachdem ich ihr Haus verlassen hatte. Sie hat Margaret gesagt, sie müsse etwas mit Drewe besprechen. Was? Ist sie doch zur Ansicht gelangt, daß ich nicht den Mut hätte, Drewe die Wahrheit über Holly zu sagen? Vielleicht. Aber selbst in diesem Fall hätte sie mir Gelegenheit gegeben, mit meiner
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