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@ E.R.O.S.

@ E.R.O.S.

Titel: @ E.R.O.S. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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alle wortkargen Männer versuchen, seinen Schmerz mit Arbeit zu bezwingen.
    Aber ich muß nicht warten. Ohne einen erkennbaren Blick in meine Richtung löst Bob sich von der Menge und kommt über den Rasen auf mich zu. Er hat das Auge eines Jägers; er hat die ganze Zeit über gewußt, daß ich hier bin. Er muß jetzt sechzig sein, bewegt sich aber noch mit animalischer Leichtigkeit, und seine stämmigen Gliedmaßen rotieren wie bei einer Maschine um seinen niedrigangesetzten Körperschwerpunkt. Ich fühle, wie ich mich für die unausweichliche Explosion seines Zorns anspanne. Ich bezweifle, daß er die Trauerfeier entweihen wird, indem er mich hier schlägt, aber das kann man wirklich nicht genau sagen.
    Er bleibt zwei Schritte vor mir stehen und sieht mir ins Gesicht. Bob ist fast fünfzehn Zentimeter kleiner als ich, aber seine Präsenz hat kaum etwas mit seiner körperlichen Masse zu tun. Die wettergegerbte Haut und die blaugrauen Augen scheinen zuerst Zorn zu zeigen, dann Trauer, dann Abscheu. Doch vielleicht deute ich nur meine eigenen Gefühle in sein Gesicht. Ich schaue kurz an ihm vorbei und stelle fest, daß Drewe zu uns herübersieht.
    »Sieh mich an«, sagt Bob scharf.
    »Dr. Anderson ...«
    Er unterbricht mich, indem er eine Hand bis auf die Höhe seines Revers hebt. »Ich will dir eine Frage stellen.«
    »Ja, Sir?«
    »Weißt du, wer mein kleines Mädchen umgebracht hat?«
    Mein kleines Mädchen. Worte, die so weit von dem Bild entfernt sind, das ich ewig von Erin mit mir tragen werde, dem Archetyp der sinnlichen Frau. Aber hinter den Augen ihresVaters, eines Veteranen mit Kampferfahrung, der in Korea Freunde zu Dutzenden sterben sah, befindet sich nur unbeschreibliche Liebe für ein Wesen, das er immer als Kind sehen wird, oder vielleicht als wunderschönes Baby.
    »Ich weiß, wie er heißt«, erwidere ich. »Aber ich weiß nicht, wo er ist.«
    »Du glaubst also, er lebt?«
    »Ja, Sir. Das glaube ich.«
    »Das FBI meint, er sei wahrscheinlich tot.«
    »Das weiß ich. Aber ich glaube es nicht.«
    Bob nickt fast unmerklich. »Ich auch nicht. Ich habe Männer gekannt, die in diesen Fluß gefallen und lebend wieder rausgekommen sind.«
    Ich warte.
    »Ich möchte, daß du mir etwas versprichst, Harper.«
    »Ja, Sir.«
    »Wenn du diesen Mann irgendwo lebend findest, schnappst du dir ein Telefon und rufst mich an. Zuallererst. Hast du verstanden? Als erstes.«
    Die Kühnheit von Bobs Absicht greift nach mir wie ein vom Wind getriebenes Feuer. Es handelt sich dabei um jene Intensität, die sogar altgediente Cops nervös macht. »Was hast du vor?« frage ich.
    Einer seiner Mundwinkel zuckt. »Ich werde ihn töten.«
    »Dr. Ander ...«
    »Unter die Erde bringen.«
    Ein Frösteln prickelt unter dem Haar meines Nackens und der Schultern. Zum erstenmal, seit dieser Wahnsinn begann, habe ich den Eindruck, einem Mann gegenüberzustehen, der Edward Berkmann gewachsen ist. Im Gegensatz zu Lenz, Miles oder Baxter ist Bob Anderson schrecklich einfach. Eher clever als brillant, kann er mit jeder Waffe vom Hirschmesser bis zum Automatikgewehr umgehen, und er ist von einem rechtschaffenen Zorn besessen, dem nicht das Gesetz den Weg weist, sondern das Alte Testament, nach dem er erzogen wurde.
    »Versprich es mir«, wiederholt er.
    »Ich verspreche es.«
    Bob atmet tief aus, ein Geräusch fast wie ein Seufzer, aber schwerer, ein Geräusch, das die Last eines Gewichts trägt, das ich nicht einmal ansatzweise abschätzen kann. »Drewe ist mein ganzer Stolz«, sagt er und schaut über die Schulter zu seiner Frau und Tochter zurück, die stoisch die Kondolenzen der letzten Trauergäste über sich ergehen lassen. »Sie hat bereits mehr geschafft als ich in meinem ganzen Leben. Ich bin so verdammt stolz auf sie, daß ich es kaum aushalten kann. Aber Erin ...«
    Er sieht wieder mich an und gibt die schützende Teilnahmslosigkeit ein wenig auf. »Erin war immer anders. Ich habe es von Anfang an gewußt. Sie war ein ungezügeltes Mädchen, bei Gott, aber es war nicht ihre Schuld. Es war ihre Natur. Bei ihr brauchte man eine Engelsgeduld, aber deshalb haben wir sie wohl nur noch mehr geliebt.«
    Einen Moment lang scheint er nicht fortfahren zu können. Dann wischt er sich über beide Augen und erlangt die Herrschaft über seine Stimme zurück. »Ich weiß nicht, was zwischen dir und Erin vorging, aber ich habe immer gespürt, daß da etwas war.«
    Großer Gott ...
    »Kein Mann ist gefeit gegen die Versuchungen des Fleisches, mein

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