@ E.R.O.S.
Vasen schmücken sein schmiedeeisernes Tor, und eine davon gibt eine brauchbare Sitzgelegenheit ab.
Erins Beerdigung ist wie die meisten anderen, die ich gesehenhabe, nur größer. Die gesamte Stadt Rain ist anwesend, eine braunblaue Decke aus Polyester, die von der dunklen Seide kostspielig gekleideter Menschen aus Vicksburg und Greenville und Clarksdale und Memphis gesprenkelt wird. Ich sehe mehrere Ärzte aus Jackson – Kollegen von Drewe oder Patrick – und an der Peripherie, abgesondert von den anderen, ein paar große, atemberaubend gekleidete und frisierte junge Frauen in Begleitung eines Mannes mit einem grauen Hut und einer Sonnenbrille. Freundinnen Erins von ihrer Zeit in New York. Es überrascht mich, daß auch nur eine von ihnen gekommen ist.
Drewe kann ich nicht sehen, aber sie muß unter dem sonnengebleichten Zelt sitzen. Sie wird je eine Hand ihrer Eltern halten und Holly beruhigen, falls sie Angst bekommen sollte. Anna, das schwarze Dienstmädchen, das schon für die Andersons gearbeitet hat, als ich noch nicht geboren war, wird bei ihnen sein. Ich sollte auch dort sein. Aber ich bin nicht erwünscht. Ich habe meinen Platz an ihrer Seite verwirkt.
Ich verabscheue die Flachheit dieses sonnenverbrannten Totenackers. Ich habe einmal einer Beerdigung in Natchez beigewohnt; sie fand auf den majestätischen Klippen hoch über dem Mississippi statt, auf einem mit weißen griechischen Säulen bestandenen Friedhof, dem moosbewachsene Eichen Schatten spendeten. So sollte eine Begräbnisstätte sein. Ein Ort, der den Lebenden etwas Frieden geben kann.
Der Gottesdienst an Erins Grab ist zum Glück kurz. Die Menge dünnt sich an den Rändern zuerst aus, die Ungeduldigen gehen zu ihren Wagen, die sie fern vom Trauerzug abgestellt haben, um schnell aufbrechen zu können. Ein paar Leute gehen in meine Richtung, vielleicht, um ihre eigenen Toten zu besuchen, doch ich bleibe, wo ich bin. Zum Teufel mit ihnen und was sie darüber denken, wieso ich nicht an Drewes Seite bin.
Als größere Wellen zu der Reihe der wartenden Wagen strömen, weiß ich, was für ein Wort auf allen Lippen ist. Mord. An diesem Tag hat man wahrscheinlich mehr Bösesüber Erin gesprochen als an irgendeinem anderen ihres Lebens. Geflüsterte Gerüchte von Drogensucht und Promiskuität, an die man sich im Glanz eines sensationellen Verbrechens erinnert und die man als den erregendsten Klatsch genießt, den diese Stadt seit einem Jahrzehnt genossen hat. Die meisten Einheimischen werden sich mittlerweile eingeredet haben, daß sie den Mord selbst heraufbeschworen hat. Der Sünde Lohn, Bruder, amen. Doch irgendwo unter dieser knappen Einschätzung liegt Furcht. Ein namenloser Schrecken, daß diese Tochter Rains vielleicht doch nichts getan hat, um dieses Schicksal heraufzubeschwören. Daß irgendein namenloses Wesen aus unbekannten oder unergründlichen Motiven diese kleine Enklave als Jagdrevier ausgewählt hat. Oder daß es vielleicht sogar – Gott behüte! – hier aufgewachsen ist. Ich freue mich über diese Furcht. Sie haben sie verdient.
Als das gedämpfte Grollen der Motoren an mir vorbeirollt, konzentriere ich mich auf das Zelt, das Erins Grab Schatten spendet. Ich habe jetzt freie Sicht. Die Familie ist dort, steht zusammen. Eine stark geschrumpfte Gruppe von Trauergästen wartet in respektvoller Entfernung daneben. Enge Freunde.
Endlich tritt die Familie unter dem Zelt hervor, mit Drewe und Anna an der Spitze, die Margaret stützen, und gesellt sich zu den wartenden Trauergästen. Als ich Patrick mit Holly in den Armen sehe, überkommt mich erneut der Zorn. Ich sollte dort sein. Das ist meine Familie, was auch immer geschehen sein mag, und Erin hätte gewollt, daß ich dabei bin. Aber Drewe will es nicht. Sie hat ihren Vater für meinen Ausschluß verantwortlich gemacht, aber ich glaube, sie hat gelogen. Diese Trennung ist die Strafe dafür, daß ich mit Erin geschlafen habe.
Bob Anderson wirkt ganz verloren in dem Ritual der Umarmungen und Tränen, wie ein Soldat, der nach einer Schlacht von seiner Einheit getrennt wurde. Er bewegt sich unablässig, rastlos. Ich will mit ihm sprechen. Ich weißnicht genau, warum. Aber in dieser patriarchalischen Familie besteht der erste Schritt zur Versöhnung darin, Frieden mit Bob zu schließen.
Das Problem ist, wie ich mich ihm nähern soll. Würde Drewe eine Szene machen? Vielleicht sollte ich warten und ihn in seinem Büro aufsuchen. Wahrscheinlich wird er morgen früh wieder arbeiten, wie
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