@ E.R.O.S.
Drewe sein Beileid aus. Dann sah er mich an. »Ich weiß nicht, ob ich Sie verhaften oder Ihnen einen Orden verleihen soll«, sagte er.
Buckner hatte soeben vom Polizeichef von Yazoo City erfahren, daß Bob Andersons Schwiegersohn auf dem Friedhof verrückt gespielt und einen FBI-Agenten namens Wes Killen angegriffen hatte. Der Agent hatte mit einem Handy einen Krankenwagen angerufen und war nun auf dem Weg zur Notaufnahme des Kings Daughters Hospital.
Während Drewe und ich ihn mit offenem Mund anstarrten, erklärte Buckner uns, daß FBI habe darauf bestanden, einen Beobachter zu Erins Beerdigung zu schicken, für den Fall, daß ihr Mörder dort auftauchte. Er machte eine große Sache daraus, daß ich den FBI-Mann zusammengeschlagen hatte, bevor er seine Waffe ziehen konnte, und verdeutlichte uns, daß Erins Mörder, wäre er dort gewesen, Special Agent Killen wahrscheinlich schon längst getötet hätte, bevor der ihn hätte überhaupt »observieren« können.
Ich amüsierte mich nicht über die Geschichte, verstand aber endlich, warum Edward Berkmann – falls er auf dem Friedhof gewesen war – Drewe und mich nicht getötet hatte. Special Agent Wes Killen hatte die Waffe nicht auf mich gerichtet, weil er mich kannte – wahrscheinlich von Fotos her –, hätte Berkmann aber auf der Stelle erschossen.
Sheriff Buckner hörte sich meine Geschichte von der Sonnenbrille mit der Aufrichtigkeit eines Arztes an, der einen Schizophrenen beruhigen will. Er versprach mir, die drei»Fremden«, die mir bei der Beerdigung aufgefallen waren, unter die Lupe zu nehmen, doch mir wurde klar, daß wir hier unsere Zeit verschwendeten. Als wir gingen, meinte Buckner, wir sollten uns keine Sorgen darüber machen, daß das FBI eine Klage wegen Körperverletzung einreichen könne. Das Bureau würde niemals die Peinlichkeit eines öffentlichen Prozesses über sich ergehen lassen.
Jetzt haben wir Drewes Elternhaus fast erreicht, und ich zweifle mit jedem verstreichenden Kilometer mehr an mir. Wer kann schon sagen, ob nicht jemand tatsächlich zufällig seine Sonnenbrille in das Grab fallen ließ und dann zu der Ansicht gelangte, es sei zu peinlich, sie wieder herauszuholen? Vielleicht hat Berkmanns Video mich so paranoid gemacht. Die schockierende Intensität seiner Persönlichkeit erschwert es einem, die Vorstellung zu akzeptieren, er könne tot sein.
»Ich muß wirklich bei ihnen sein«, sagt Drewe, als Bobs Villa in Sicht kommt, umgeben von einer zu Besuch weilenden Flotte von Automobilen.
»Ich weiß.«
Sie schaut auf ihren Schoß und schüttelt den Kopf. »All diese verdammten Kasserollen.«
»Ich weiß. Erin hätte es verabscheut.«
Sie sieht mich scharf an. Dann wird ihr Blick langsam weicher. »Du hast recht.«
Ich lasse mich zu einer Verzweiflungstat hinreißen und versuche, den Eindruck von Normalität herzustellen. »Denke an die armen Hühnchen, die für all diese Tetrazzini haben sterben müssen.«
Drewe schlägt mir so fest mit dem Handrücken gegen die Brust, daß es richtig weht tut, doch der Anflug eines Lächelns zerrt an ihren Mundwinkeln. Sie weiß genau, was ich empfinde. Tausend geistliche Worte und Kondolenzen sind nichts im Vergleich zu einer beiläufigen Bemerkung, die etwas von Erins wirklichem Leben festhält. Wir beide wissen, daß Erin mich für diesen blöden Witz genauso geschlagenhätte, und daß Drewe als ihre Stellvertreterin fungiert, bringt uns das Leben zurück, wenn auch nur für einen Augenblick.
Während der kurzen Flucht vor der Trauer verspüre ich die Versuchung, die Frage auf den Tisch zu bringen, die mich quält, seit ich Drewe die Wahrheit über Holly gesagt habe. Was ist mit Patrick? Ist sie der Meinung, er sollte die Antwort auf die Frage bekommen, die ihn schon so lange quält? Hat sie bereits mit ihm gesprochen? Das ist das letzte Vermächtnis des Geheimnisses, die letzte Mine, die noch nicht explodiert ist. Aber ich habe im Augenblick nicht die Nerven, um der Sache auf den Grund zu gehen.
»Wie sieht das Haus aus?« fragt Drewe mit schwerer Stimme.
»Ich habe das Büro gründlich geschrubbt. Die Deputies haben die Bude auseinandergenommen, und es riecht nach Tränengas, aber ich konnte letzte Nacht dort schlafen.«
»Bieg da rein«, sagt sie und deutet auf einen schmalen Weg zwischen den Wagen, die Bobs majestätische Auffahrt blockieren.
Ich muß dreißig Meter von der Haustür entfernt parken. Drewe öffnet die Tür des Explorer, steigt aber nicht aus. Ich fühle ein
Weitere Kostenlose Bücher