@ E.R.O.S.
Augen. Sie hält einen bösartig gekrümmten Dolch in der Hand. Eine furchterregende Waffe. Ganz einfach. Wirksam in zwei Dimensionen, der physischen wie der seelischen.
Die Patientin dreht sich zu mir um, hofft auf irgendeine Erklärung. Wie stark ihr Herz klopfen muß!
»Kali«, sage ich, bedauere jeden Augenblick.
Die Patientin fährt wieder herum, als sie hört, daß Kali die Tür schließt, beobachtet, wie die junge Frau sich mit meiner Aktentasche geschmeidig über den Boden bewegt, wie ein schwarzer Engel.
Kali stellt die Tasche ab, richtet sich dann auf und öffnet den Sari. Er fällt zu Boden. Sie ist darunter völlig nackt. Ich beobachte, wie die Patientin herauszufinden versucht, was hier wohl geschieht, während der Ketamincocktail durch ihren Organismus fließt. Warum zieht die Inderin sich aus? Kurz bevor sie das Bewußtsein verliert, kommt sie vielleicht darauf; daß Kali sich auszieht, damit kein Blut ihre Kleidung beschmutzt.
Ich muß mich ebenfalls ausziehen, doch vorher gehe ich zum Computer, logge mich aus, gebe ein paar Befehle ein und schalte das Gerät ab. Dann kehre ich zu der Patientin zurück, knie nieder und öffne die Aktentasche.
»Was ist da drin?« fragt sie dumpf und setzt sich auf den Boden.
»Meine Instrumente.« Ich nehme eine Knochenzange aus rostfreiem Stahl aus dem Koffer und versuche zu lächeln, doch mein Herz ist ein schwarzes Loch.
Die Patientin hat für ihre Romane genug Nachforschungen betrieben, um die Knochenzange als solche zu erkennen. In blinder Panik versucht sie erneut, die Tür zu erreichen, kriecht wie ein Kleinkind auf allen vieren, doch Kali drückt sie flach auf den Bauch. Ich beobachte sie schweigend, bis ich sehe, daß der Dolch aufblitzt und sich gegen die Kehle der Patientin drückt.
»Wage es ja nicht«, sage ich, aufgeschreckt von der Blutgier in ihren Augen. Ich spreche nun gebieterisch. »Zieh sie aus.«
Wir ließen uns mit der Patientin Zeit. Wir konnten es uns leisten, denn Karin duldete keine Wachmänner in ihrer Villa. Aber unsere Möglichkeiten waren beschränkt. Wie ich mich danach sehnte, mich in diesen reglosen Körper zu ergießen. Aber das war natürlich unmöglich.
Diesmal zwang ich Kali, vorsichtig zu sein, damit kein Blut an ihre Füße kam. Nachdem sie fertig war und ich meine Proben eingesammelt hatte, zogen wir uns in die Dusche zurück. Echter Marmor. Wir trugen Badekappen aus Gummi, damit so wenig Haare wie möglich in das Abflußsieb gerieten. Das Blut glitt von unserer rasierten Haut und wirbelte auf dem weißen Stein. Endlich konnte ich mich gehenlassen.
Selbstbeherrschung ist so wichtig.
Kali kniete in dem heiß sprühenden Wasser vor mir nieder. Ich hatte mich so lange zurückgehalten, daß weder ihrKönnen noch ihr Eifer erforderlich waren. Sie schluckte jeden Tropfen des Beweismittels, wie es auch erforderlich war. Vielleicht hatte sie Spuren ihrer eigenen Erregung zurückgelassen, aber was soll die Polizei damit schon anfangen? Sie wird sowieso schon verwirrt genug sein.
Als wir uns aus der Villa schlichen, nun nicht mehr nur mit dem Aktenkoffer, sondern auch mit dem gefüllten Gummisack bewehrt, dachte ich an die Patientin. Ein so großes Potential: für meine Arbeit, für die ganze Public Relation. Alles verloren, und wofür? Für mehr Homogenität? Aber ich darf mich nicht bei Fehlschlägen aufhalten. Starke Seelen erfreuen sich an Widrigkeiten.
Morgen ist ein anderer Tag.
1
D
as Leben ist einfach.
Für je komplizierter Sie das Ihre halten, desto weniger wissen Sie über Ihre wirklichen Lebensumstände.
Lange Zeit über habe ich das nicht verstanden.
Jetzt ist es mir völlig klar.
Man ist hungrig, oder man ist satt. Man ist gesund, oder man ist krank. Man ist seiner Frau treu, oder man ist es nicht. Man lebt, oder man ist tot.
Ich lebe.
Wir beklagen uns über komplizierte Zustände, über moralische Grauzonen, aber wir suchen Zuflucht in diesen Dingen. Komplexität bietet Zuflucht vor Entscheidungen und damit auch davor, Maßnahmen ergreifen zu müssen. In den meisten Situationen zögen die meisten von uns es vor, nichts zu tun.
Sic transit gloria mundi.
Etwas stimmt nicht.
Ich starre auf die Telefonnummer der Polizei von New Orleans, die ich mir gerade von der Auskunft besorgt habe.
Irgendwie habe ich schon seit einiger Zeit gewußt, daß etwas nicht stimmt, aber anscheinend mußte erst geschehen, was heute geschehen ist, damit ich es mir eingestehe; mich über den inneren Widerstand
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