@ E.R.O.S.
und sammle meine Gedanken.
»Ich rufe an, weil ich glaube, daß dieser Mord ... der an Karin Wheat ... vielleicht im Zusammenhang mit einigen anderen ... keinen Morden, aber ... doch, vielleicht doch Morden steht. Ich arbeite als Systemoperator für einen Online-Computer-Dienst ... einen landesweiten Service ... namens EROS. In den letzten Monaten ist mir aufgefallen, daß ein paar Frauen das Network plötzlich ohne Angabe von Gründen verlassen haben. Sie hätten den Vertrag einfach beenden können, aber ich bin nicht der Ansicht, daß sie das getan haben. Der Firma ist es bestimmt nicht recht, daß ich Sie deshalb anrufe, aber ich halte es für meine Pflicht. Es ist zu kompliziert, um es auf Anrufbeantworter zu sprechen, aber ich fürchte, diesen anderen Frauen könnte auch etwas zugestoßen sein. So etwas in der Art, was mit Karin Wheat passiert ist. Vielleicht ist dieselbe Person darin verwickelt. Denn Karin Wheat war Kundin bei EROS. Das ist übrigens eine vertrauliche Information. Sie werden es nicht verstehen, wenn ich es Ihnen nicht persönlich erkläre. Es wäre nett, wenn Siemich so schnell wie möglich zurückrufen würden. Ich bin immer zu Hause. Ich arbeite zu Hause und bleibe immer ziemlich lange auf. Danke.«
Auf dem Fernsehschirm ist Mayeux von dem schmiedeeisernen Tor verschwunden. Die Menschenmenge ist größer als zuvor. Die Kamera streicht über mehrere männliche Gesichter, die mit Lidschatten und Eyeliner geschminkt sind. Anhänger von Karin Wheats esoterischer Prosa. Ein Schwarzweißfoto der Autorin erscheint und füllt ein Viertel des Bildschirms aus. Es ist das Umschlagfoto aus ihrem letzten Buch. Ich erkenne es, weil dieser Roman – Isis – in meinem Bücherregal steht. Ich habe ihn gekauft, nachdem ich die ersten On-line-Gespräche mit Karin geführt hatte. Sehr interessante Gespräche.
Karin Wheat war eine verquere Lady.
Ich erhebe mich vom Schreibtisch und gehe zum Minikühlschrank, um mir ein eiskaltes Tab zu holen. Damit breche ich die Monotonie der Diät-Cokes. Das Zeug sprudelt nicht nur stärker, mir schmeckt es auch wirklich. Als ich mich wieder hinter meinen Gateway 2000 setze, habe ich die Dose halb geleert.
Preisnotierungen von der Chicago Mercantile Exchange scrollen langsam über den Bildschirm. Das ist mein eigentlicher Job. Warentermingeschäfte, Anleihen, Rentenwerte, sogar landwirtschaftliche Produkte. Ich mache es von zu Hause aus, nur mit meinem eigenen Geld; das macht es einfach. Keine selbstmordgefährdeten Klienten, mit denen ich mich abgeben muß. Ich halte im Augenblick eine Zehnerpartie S&P-Kontrakte, aber im Augenblick steht keine Krise an.
Ich trinke noch einen Schluck Tab und schaue über den postmodernen schwarzen Tisch, auf dem der EROS-Computer und die Satelliten-Bildverbindung stehen. Es ist später Nachmittag, und online herrscht nur wenig Betrieb. Im Augenblick hauptsächlich Hausfrauen: romantisches Herz-Schmerz-und-Sex-Zeugs. Die richtigen Freaks sind jetzt auf dem Nachhauseweg von der Arbeit.
Meine Frau sollte es auch sein. Derzeit arbeitet sie in Jackson, der Hauptstadt des Staates, achtzig Minuten entfernt von unserem Bauernhaus inmitten der Baumwollfelder des Deltas. Drewe ist Ärztin – ihre Zeit als Assistenzärztin im Krankenhaus liegt drei gesegnete Jahre zurück – und genauso alt wie ich, dreiunddreißig. Ich denke gerade, daß ich allmählich damit anfangen sollte, uns etwas zum Abendessen zu kochen, als das Telefon klingelt.
»Hallo?«
»Hier spricht Detective Michael Mayeux, NOPD.«
Seine Stimme hat den blechernen Funkklang, den Handys eigentlich nicht haben sollen, aber meistens doch haben. »Danke, daß Sie so schnell zurückgerufen haben.«
»Hab’ gerade meinen Anrufbeantworter abgehört«, erklärt er. »Achtundzwanzig Verrückte haben sich schon gemeldet. Vampire haben sie umgebracht, Zombies. Ein Typ behauptet, er sei ein Buhlteufel und habe sie getötet.«
»Und warum haben Sie mich dann angerufen?«
»Sie hörten sich nicht ganz so verrückt an wie die anderen. Sie haben gesagt, Sie rufen aus Mississippi an?«
»Richtig. EROS – die Firma, bei der ich Sysop bin – hat ihren Sitz in New York, aber ich erledige meinen Job von hier aus.«
»Ich höre, Mr. Cole.«
»Wissen Sie, was Online-Dienste sind?«
»Klar. AOL, CompuServe, Delphi. Aber Ihre Nachricht vermittelte mir nicht den Eindruck, daß wir über Leute sprechen, die sich im Netz rumtreiben oder ihren Urlaub per Modem buchen.«
»Nein, da haben Sie
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