@ E.R.O.S.
esoterischen Abkürzungen, informelle Praktiken, Dinge, die nur die Mitglieder verstehen.«
Lenz lächelt. »Sie haben gerade ausgeführt, warum Sie den Job unbedingt übernehmen müssen.«
»Glauben Sie wirklich, Sie können den Leuten – nicht nur den Leuten, sondern ihm – weismachen, Sie wären eine Frau?«
»Das macht die Sache ja so interessant. Wieviel Einblick in die weibliche Psyche habe ich wirklich? Das wird die Feuerprobe sein.« Er blendet die Scheinwerfer zweimal auf und braust an einem Lieferwagen vorbei. »Wir sind auf halbem Weg nach Quantico, Cole. Lassen Sie Ihr Geheimnis hören. Wenn ich zu dem Schluß komme, daß es nichts mit dem Fall zu tun hat, führen Sie mich in EROS ein, fahren nach Hause und haben Ruhe vor der Polizei.«
Ich drehe den Kopf und schaue aus dem Beifahrerfenster. Auf halber Strecke nach Quantico. Auf halbem Weg zu dem Hostage Rescue Team, dem Sondereinsatzkommando, das in Dallas Brahmas Tür eintreten wird. Lenz will Antworten auf seine kleinen Fragen, Schnappschüsse meiner Seele, bevor ich in den inneren Kreis der Ermittlung eintreten darf. Worauf bin ich am stolzesten? Wessen schäme ich mich am meisten? Die Antwort auf die erste Frage ist privat, aber eigentlich nicht geheim und wird mich nach Quantico bringen. Die andere Antwort kann warten, bis diese Tür in Dallas aufgebrochen wird. Sie kann ewig warten.
»Ich war acht Jahre lang professioneller Musiker«, sage ich in ruhigem Ton.
Lenz lehnt sich in seinen Sitz zurück. »Hatten Sie Erfolg?«
»Das hängt davon ab, wie man ›Erfolg‹ definiert. Ich habe meinen Lebensunterhalt verdient. Aber meine Träume verwirklicht ... nein. Ich bin ein guter Songschreiber und Gitarrist, aber nur ein mäßiger Sänger. Einige Leute hielten mich für besser, als ich selbst es tat, aber ich war immer der Meinung, daß ich jemand als Leadsänger auf die Bühne stellen mußte.«
»Und diese Abhängigkeit hat zu einem Konflikt geführt? Zu einem Groll?«
»Ja. Ich überspringe jetzt mal fünf verschwendete Jahre. Für die letzte Band, in der ich war, interessierten sich große Plattenfirmen. Aber als wir endlich so weit waren, stand die Gruppe kurz vor der Selbstzerstörung. Ich schrieb das beste Material, und der Sänger – ein guter Freund von mir – konnte nicht ertragen, daß ich dieses Stück des Ruhms bekam. Er vergaß, daß er ständig im Scheinwerferlicht stand. Er wollte seine Lieder oder gar nichts singen.«
»Und?«
»Er singt seine Lieder. Er singt sie noch immer. Die Clubs sind größer geworden, aber er ist noch immer in derselben Tretmühle. Als diese Gruppe sich auflöste, entschloß ich mich, mich nie wieder in eine Lage zu bringen, in der mein Schicksal in irgendeiner Hinsicht von einer anderen Person bestimmt wird.«
»Jetzt ist mir klar, wieso Sie mit Terminwaren handeln«, sagt Lenz. »Sie müssen sich nicht mit vertrackten Menschen abgeben.«
»Ganz genau.«
»Und Sie sind reich geworden.«
»Das können Sie verdammt laut sagen.«
»Sie klingen wütend.«
»Eine gute Einschätzung.«
Lenz legt den nächsten Kilometer schweigend zurück, und ich bin dankbar für die Pause. »Und?« sagt er schließlich.
»Vor alledem ging ich wie die meisten meiner Freunde aufs College. Finanzwissenschaft als Hauptfach und so weiter. Aber schon als Kind wollte ich Musik machen. Ich fuhr immer nach Leland und Clarksdale und spielte mit den alten schwarzen Jazzern – Son Thomas, Sam Chatmon, mit all diesen Burschen. Als ich mit dem College fertig war, ging ich nach Hause und sagte meinen Eltern, bevor ich mir einen Job suchen würde oder auf die Uni ginge, würde ich eine Weile Musik machen.«
»Wie haben sie es aufgenommen?«
»Nicht sehr gut. Als ich noch kleiner war, haben sie meinInteresse für Musik wirklich gefördert. Aber während meines letzten Jahrs auf der High School hat sich das geändert.«
»Was ist passiert?«
»Der zweite Akt einer Tragödie, die fünfzehn Jahre vorher angefangen hatte. Im Sommer vierundsechzig, der ›Freedom Summer‹. Das Jahr, in dem im Neshobe County diese drei Bürgerrechtler umgebracht wurden.«
Lenz nickt. »Schwerner, Chaney und Goodman.« Er spricht die Namen leise aus, als wären diese schon so lange toten Jungen Freunde von ihm.
Zum ersten Mal kam mir der Verdacht, daß Lenz Jude sein könnte. »Genau«, erwidere ich. »Sie haben sie in diesem Damm begraben. Auf jeden Fall schickte ein New Yorker College ein paar Bürgerrechtler zur Cairo County, wo unsere Farm
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