@ E.R.O.S.
Stimme. In diesem Augenblick klingelt Lenz’ Handy, und die Schnelligkeit, mit der er danach greift, verrät, unter welcher Anspannung er steht. Er lauscht zwanzig Sekunden, sagt zweimal ja und unterbricht die Verbindung dann.
»Kommen Sie schon«, sage ich scharf. »Sie haben Strobekkers Sendungen zurückverfolgt, nicht wahr? Und Sie haben gerade die genaue Adresse bekommen.«
Er mustert mich noch ein paar Sekunden lang. »Sie haben die Leitung bis nach Dallas zurückverfolgt. Ein Anschluß ineiner Wohnung. Gemietet unter dem Namen David M. Strobekker.«
»Verdammte Scheiße. Und was wird jetzt passieren?«
»Das FBI in Dallas und SEK-Teams haben das Gebäude bereits umstellt und die Nachbarwohnungen evakuiert. Strobekker ist noch online. Ein Geiselrettungsteam des FBI ist mit dem Jet von Kansas City zum Einsatzort unterwegs. Sie waren in Alarmbereitschaft, so daß sie jedes Ziel innerhalb der USA in kürzester Zeit erreichen konnten.«
»Sollten Sie nicht in Dallas sein? Für den Fall, daß die Sache in eine Sackgasse gerät und Verhandlungen erforderlich sein sollten?«
»Daniel hat ein gewaltsames Eindringen genehmigt. Rosalind May könnte in der Wohnung sein, und Strobekker hat bereits bewiesen, daß er ohne Gnade tötet. Das Geiselrettungsteam wird die Tür aufsprengen, sobald es den Einsatzort erreicht hat. Geschätzte Ankunftszeit in achtzig Minuten.«
»Was, wenn Strobekker die Wohnung verläßt, bevor das Team dort eintrifft?«
»Dann wird das SEK-Team der Polizei von Dallas ihn ausschalten.«
»Wollen Sie damit sagen, daß sie ihn töten werden?«
»Ich hoffe, daß es nicht dazu kommt. Von dem Ort aus, zu dem wir fahren, kann ich notfalls direkt mit der Person in der Wohnung sprechen.«
Ich lehne mich schwer in den Sitz zurück. Vor zehn Minuten war ich wütend und müde; jetzt spüre ich den Geschmack der Euphorie, daß mein Name reingewaschen werden und mein Leben wieder seine normale Aufregung annehmen wird.
Lenz lenkt den Mercedes auf die Auffahrt und fädelt sich auf der 495 in den nach Süden fließenden Verkehr ein. »Cole, ich brauche Ihre Hilfe und Sie brauchen meine. Die beste Aussicht, Ärger zu vermeiden, haben Sie, wenn Sie uns bei der Ermittlung helfen. Aber bevor ich Ihre Mitwirkung in Anspruchnehmen kann, muß ich sicher sein, daß Sie nicht in den Fall verwickelt sind.«
»Aber sie nageln den Burschen doch gerade fest.«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Die Beweise deuten darauf hin, daß mehrere Täter gemeinschaftlich vorgehen. Ist Strobekker persönlich in dieser Wohnung? Oder derjenige, dem dieses indische Haar gehörte, das man an einem Tatort gefunden hat?«
Toll. »Was wollen Sie von mir?«
»Antworten. Ich glaube, Sie sind ein guter Mensch, der von irgendeiner üblen Sache heimgesucht wird. Die Frage lautet jetzt, hat das etwas mit diesem Fall zu tun oder nicht?«
»Das hat es nicht, okay? Genügt mein Wort Ihnen nicht?«
»Leider nicht.«
»Gott verdammt. Ich habe die Morde gemeldet! Und bislang hat mir das nur noch mehr Ärger eingebracht.«
Der Psychiater wendet kurz den Blick von der dunkler werdenden Straße und sieht mich mit einem beunruhigenden Gesichtsausdruck an. Sein Gesicht ähnelt plötzlich dem meines Vaters, als er mir zum erstenmal gestand, daß er finanzielle Probleme hatte. Einen Moment sah ich einen Mann in den besten Jahren, der verantwortungsvoll und umsichtig alles unter Kontrolle hatte – und im nächsten ein hageres Antlitz, auf dem der Schatten des Versagens und Zweifels lag. Ein Gesicht, das mir Geheimnisse anvertrauen würde, die mein Leben für immer verändern würden.
»Ich bin seit über dreißig Jahren forensischer Psychiater«, sagt er mit einer Stimme, der jede Regung fehlt. »Dreißig Jahre lang habe ich den Beschreibungen von Männern zugehört, wie sie Kinder quälten und vergewaltigten; mir Videobänder angesehen, auf denen Männer in Lieferwagen und Kellern Frauen in blutige Stücke rissen.« Er senkt fast rechtfertigend den Kopf. »Meine Arbeit ist die Richtmarke, an der andere gemessen werden. Doch vor nicht allzu langer Zeit habe ich einen Punkt erreicht, an dem der Kompaß, der mich bislang führte, nicht mehr funktionierte. Ich bekam zu HauseProbleme. Meine Arbeit war zu einer endlosen Langeweile geworden. Haben Sie eine Ahnung, was die Investigative Support Unit tatsächlich macht, Cole?«
»Serienmörder fangen, oder?«
»Falsch. Sie tut genau das, was ihr Name ausdrückt. Sie unterstützt laufende
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