@ E.R.O.S.
französischen Lyrik.«
»Das hat Erin auch gesagt. Sie hat mir erzählt, es sei ihr noch nie zuvor passiert, aber ich habe ihr nicht geglaubt. Ich meine, wie hätte sie sonst davon wissen können? Sie ist nicht der Typ, der französische Lyrik liest.«
Lenz gibt ein unverbindliches Geräusch von sich. »In ihren Kreisen hat sie den Ausdruck vielleicht aufgeschnappt. Gefiel Ihnen la petite mort nach diesem ersten Mal?«
»Ich bin mir nicht sicher. Aber mir wurde klar, wie zutreffend der Ausdruck ist. Als im Augenblick der größten Intensität ihre Brust rot gesprenkelt und ihr Gesicht gerötet war, befreite sie sich einfach von der Welt. Als sie beim letztenmal dann wieder zu sich kam, sagte sie mir, sie hätte reinen Frieden wahrgenommen, eines der wenigen Male in ihrem Leben. Als wäre sie gerade ausgewachsen und als neuer Mensch aus dem Mutterleib geglitten. Und ...«
»Ja?«
»Sie sagte, sie glaube, tot zu sein sei gar nicht so schlecht.Sie hat es ernst gemeint. Später sprach sie sogar über ihre Beerdigung, wie sie sie sich vorstellte. Sie hatte ein Lied von mir auf einem Tonband gehört, das ich Drewe geschenkt hatte, und sich eine Kopie gezogen. Es heißt ›All I Want is Everything‹. Sie sagte, das Lied würde genau auf sie zutreffen, und ich sollte es auf ihrer Beerdigung spielen.«
»Was haben Sie gesagt?«
»›Klar doch‹, und dann habe ich das Thema gewechselt.«
Lenz schürzt die Lippen und wechselt die Fahrspur. Die Lichter der Vorstädte leuchten jetzt fast ununterbrochen; wir müssen uns also unserem Ziel nähern.
»Wie lange hielt dieses erotische Zwischenspiel an?« fragt er.
»Drewe rief am vierten Abend an.«
»Ah.«
»Erin lag neben mir im Bett. Während Drewe erklärte, daß sie aus dem Krankenhaus anrufe und gerade eine Patientin gestorben sei, der sie nahegestanden hatte, wurde Erin wieder zu ihrer Schwester, kein ätherisches Wesen mehr, sondern Drewes kleine Schwester.
Sie stand auf und bildete mit den Lippen den Satz: Ist das Drewe?, während Drewe etwas von einer Lungenembolie sagte. Ich weiß nicht mehr genau, was ich sagte, um das Gespräch beenden zu können, wußte aber, daß ich Drewe in einem Augenblick der gefühlsmäßigen Krise im Stich gelassen hatte. Ich erinnere mich allerdings ganz genau daran, was Erin in dem Moment sagte, in dem ich auflegte.«
»Was?« fragt Lenz.
»›Wie wollen wir es ihr sagen?‹ Ich war mir nicht sicher, daß ich sie richtig verstanden hatte, also fragte ich sie, was sie meinte. Sie lehnte sich gegen das Kopfende zurück und zeigte mir ihre perfekten Brüste, aber plötzlich betrachtete ich nicht mehr ihren Körper. Sie sagte: ›Wie wollen wir Drewe das mit uns sagen?‹
Ich war schockiert. Ich stieg aus dem Bett und sagte so etwas wie: ›Großer Gott, wie ist es nur dazu gekommen?‹›Wie?‹ fragte sie mich. ›Was haben wir in den letzten vier Tagen getan? Händchen gehalten?‹
Bevor ich antworten konnte, sagte sie: ›Gevögelt?‹ Dann riß sie das Bettlaken weg und gab es mir. ›Ich dachte, du wärest anders. Ich dachte, du würdest einiges verstehen, was Frauen angeht. Was mich angeht. Was glaubst du, weshalb ich in die gefrorene Einöde von Chicago gekommen bin? Damit ich mich beim Sex verrenke? Den kann ich überall sonst auf der weiten Welt haben, vielen Dank.‹ Und so weiter.
Der Schmerz in ihrer Stimme machte mir mehr zu schaffen als ihre Gehässigkeit. Ich dachte, sie sei hierher gekommen, weil sie in ihrem Leben einen Punkt erreicht hatte, an dem sie einen Freund brauchte. Nachdem ich gehört hatte, wie dumm das klang, sagte ich: ›Weshalb bist du denn gekommen?‹ Sie ließ das Bettlaken fallen, trat nackt auf meinen Parkettboden und sagte: ›Um dich zu heiraten, du Arschloch.‹«
»Wie bedauerlich«, sagt Lenz, als gebe er einen Kommentar über ein weit entfernt liegendes Dorf ab, das von einem Taifun zerstört worden war. Mit einem eleganten Schlenker verläßt er die Interstate und biegt auf eine breite Avenue ab. »Sie hatten während Ihrer Verlobung also eine Affäre mit der Schwester Ihrer Frau.«
»Wir waren nicht verlobt. Nicht wirklich ...«
»Das ist doch reine Haarspalterei. Sie hatten sich Drewe verpflichtet.«
»Ja.«
»Aber sie hat nie von der Affäre erfahren?«
»Nein.«
Lenz zuckt mit den Achseln. »Irgend etwas muß mir entgangen sein. Dieser Betrug lastet so schwer auf Ihnen? Auch heute noch, jeden Tag?«
»Ja, Sie haben tatsächlich etwas nicht mitbekommen. An diesem Abend
Weitere Kostenlose Bücher