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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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zurück und suchte sich durch das Labyrinth aus Bierdosen den Weg zurück in die Diele. Neben Nial ließ sie sich in die Hocke sinken; der Boden dort war klebrig von Blut. Sie legte eine Hand auf seine Rippen und fühlte, wie sie sich stoßweise hoben und senkten. Sein Körper war heiß, als müsse die Anstrengung seines Kampfes mit Kelvin immer noch abgearbeitet werden.
    Sein Brustkorb war schmächtig und nicht viel breiter als Millies. Sie zog das Hemd herunter, um ihn zu bedecken. »Kannst du mich hören? Wo ist Millie?«
    Er hob die Hände ans Gesicht und stöhnte. Dann rollte er sich halb auf den Rücken.
    »Nial? Es ist okay. Du kannst es mir sagen. Ich bin auf alles vorbereitet.«
    »Sie ist okay.« Seine Stimme klang gepresst. »Sie ist in Sicherheit. Ich hab’s getan.«
    »Getan? Was hast du getan?«
    »Sie gerettet. Ich hab Millie gerettet.«
    Sally wippte zurück und setzte sich mitten zwischen Bierdosen, Abfall und Glasscherben auf den Boden. So saß sie da und umklammerte ihre Fußknöchel, und Fußboden und Wände schwankten um sie herum. »Wo, Nial?«, hörte sie Zoë hinter sich fragen. »Wo ist sie?«
    »Ich hab sie im Campingbus eingeschlossen. Oben beim Haus. Sie hat ihr Telefon nicht – es ging alles zu schnell. Sie müssen an ihr vorbeigefahren sein.«

DRITTER TEIL

1
    Ben begriff nicht, warum Zoë zu Kelvin Burfords Beerdigung gehen wollte. Was sollte ihr das bringen? Hatte sie Mitleid mit seiner Familie? Oder wollte sie nur sicher sein, dass er wirklich und wahrhaftig tot war? Zoë wusste keine Antwort auf diese Frage. Sie wusste es nicht, aber sie wollte trotzdem hingehen: Sie, Sally und Steve. Millie, Nial und Peter waren auch gekommen; sie hatten sich nicht davon abbringen lassen. Also schoben sie sich an diesem Tag zu sechst in eine Bank in der kleinen Kapelle, alle ein bisschen unbehaglich und verlegen, nervös in ihrer formellen Kleidung, und sie hofften, der Gottesdienst werde sich nicht allzu lange hinziehen.
    Es war Mittsommer. Der Coroner hatte fünf Wochen für die amtliche Untersuchung des Todesfalls Kelvin Burford gebraucht, und sein Befund lautete auf Tod durch Unfall. Die Ermittlungen im Mordfall Lorne Wood waren unterdessen nicht offiziell abgeschlossen worden, aber genauso gut hätte Kelvin deshalb überführt und verurteilt worden sein können, denn alle Welt wusste, was er getan hatte. An dem Tuch am Kanal war seine DNA nachgewiesen worden, und bei der Durchsuchung seines Hauses hatte man nicht nur Lornes pinkfarbene Fleece-Weste und ihr Handy unter dem Bett gefunden, sondern unten in der Schreibtischschublade auch den Lippenstift, mit dem er ihr auf den Körper geschrieben hatte, und den auffälligen Filigran-Ohrring, der ihr vom Ohr gerissen worden war. Eigentlich eine Ironie des Schicksals, fand Zoë, wenn man bedachte, wie viel Planung sie, Sally und Ben darauf verwandt hatten, Kelvin festzunageln – nur weil sie angenommen hatten, dass er alles Beweismaterial aus seinem Cottage fortgeschafft haben würde und auf irgendeine andere Weise der Tat überführt werden müsse.
    In der Zeitung war eine Geschichte nach der anderen über das »Monster« Burford erschienen – lauter Einzelheiten über Kelvins Vergangenheit, seine Verwundung in Basra, sein Angriff auf das Mädchen in Radstock. Nur wenige von seinen Freunden und Verwandten waren tapfer genug, um sich bei der Beerdigung blicken zu lassen, und so war die Trauergemeinde klein. Zoë sah sich um: Ein paar Polizisten und ein oder zwei seiner Kameraden, die mit ihm in Basra gedient hatten, zwängten sich in die unbequemen Kirchenbänke und sahen niemanden an, als schämten sie sich. Dann durchzuckte sie die Erkenntnis, dass sie in der Bank, die sie sich ausgesucht hatten, unmittelbar hinter Kelvins Schwester saßen. Von da an verhielt sie sich ganz still, und während die Kapelle sich mit Schweigen erfüllte, betrachtete sie den Hinterkopf der Frau. Blonde Locken fielen unter einem schwarzen runden Strohhut herab.
    Vielleicht, dachte Zoë plötzlich, war es ihr schlechtes Gewissen, das sie hatte herkommen lassen. Die Scham darüber, wie sie den Moralkodex ignoriert hatte, den jeder bei der Polizei kennen und respektieren sollte. Nicht nur Kelvin, sondern auch David Goldrabs Verschwinden lastete auf ihrem Gewissen: Immer wieder hatte sie dessen Familie versichert, es werde alles Menschenmögliche getan, während sie in Wahrheit dazu beitrug, dass der Fall auf der Prioritätenliste der Polizei immer tiefer nach unten

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