Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
rutschte.
Luft drang keuchend in die Orgelpfeifen, und ein Akkord ertönte. Sie griff nach der Karte mit der Gottesdienstordnung, fächelte sich damit Luft zu und schaute hinauf zu den Deckenbalken, zu Spinnweben und Staub. Vielleicht waren irgendwo dahinter die Augen Gottes, schauten auf sie herab und sahen all diese Geheimnisse. Sie hatte sich geirrt, als sie annahm, Lorne sei nur die Spitze des Eisbergs und Kelvin habe schon öfter gemordet. Nirgendwo im Haus oder in seinem Land Rover waren Spuren menschlicher Überreste gewesen, und das Foto aus dem Irak stammte von einer Website, die ein paar tausend Mal aufgerufen worden war, bevor man sie vom Server genommen hatte. Ja, dachte sie, in den letzten paar Wochen hatte sie sich in vielen Dingen geirrt. Aber es war auch etwas Gutes dabei herausgekommen. Ihre Verbindung zu Sally und zu Millie. Und vielleicht dadurch auch eine neue Möglichkeit, sich mit dem Rest der Welt zu verbinden. Eine neue Facette in dem Muster, das sie hinterließ.
Die Türflügel am hinteren Ende der Kirche öffneten sich, und die Sargträger des Bestatters begannen ihren langen Marsch durch den Mittelgang nach vorn. Zoë senkte den Blick und sah, dass Sallys Hand auf ihrem Schoß lag. Sie schaute nach links und sah, dass auch Millie die Hand auf dem Schoß liegen hatte. Impulsiv langte sie nach rechts und links und ergriff beide Hände, und plötzlich wusste sie die Antwort auf Bens Frage wegen der Beerdigung.
Solidarität. Das war es. Sie war hier, um der Welt und Kelvins Andenken zu zeigen, dass diese Familie, ihre Familie, sich nie wieder auseinandertreiben lassen würde. Nie wieder.
2
Als der Gottesdienst vorüber war, liefen die Teenager hinaus, aber die Erwachsenen trödelten noch eine Weile und warteten, bis Kelvins Schwester gegangen war, bevor sie aufstanden und durch den Ostausgang hinausgingen, der zum Friedhof führte. Sie wollten der Presse nicht in die Arme laufen, die sich am Westportal aufgebaut hatte und sich jetzt um Kelvins Schwester drängte.
Die drei gingen zu der Bank unter dem Sommerflieder, um zu warten, bis der Trubel vorbei wäre. Sally setzte sich auf Steves Knie, und Zoë stand lächelnd vor ihnen und überschattete die Augen mit der Hand. Sie sah hinreißend aus, dachte Sally – wie eine Amazone. In Weiß gekleidet von Kopf bis Fuß und mit einer unglaublichen Sonnenbräune, die sie nur vom Motorradfahren hatte. Ihr Gesicht war vollständig verheilt, und sie trug einen kirschfarbenen Lippenstift, der nicht verwischt oder verblasst war.
»Dein Kleid gefällt mir«, sagte Sally. »Und der Hut auch.«
»Danke.« Zoë nahm den Hut ab und setzte sich neben die beiden. Sie versuchte eine Knitterfalte aus dem Rock zu schütteln. »Ist eigentlich nicht mein Ding. Kleider, Hüte, weißt du. Immerhin, es beweist, dass ich mich ganz gut aufbrezeln kann.«
»Ben ist nicht hier?«
»Doch. Er wartet im Wagen, bis die Presse weg ist. Siehst du ihn?«
Sally spähte über die Gräber hinweg und zwischen den Zypressen hindurch und sah einen dunkelblauen Audi, der im flimmernden Sonnenlicht parkte. Ben saß am Steuer und trug eine Sonnenbrille. »Er starrt uns an. Sieht nicht sehr glücklich aus.«
»Kümmere dich nicht um ihn. Er findet, wir hätten nicht zur Beerdigung gehen sollen. Er hält uns für verrückt.«
Hinter Ben parkten Nials und Peters Glastonbury-Busse. Peter war schon eingestiegen, und Nial schloss an seinem die Seitentür auf und schob sie zurück, um kühlere Luft hineinzulassen. In den Tagen nach der amtlichen Untersuchung hatte Nial seinen Wagen mit gelben Blumen und Totenköpfen bemalt, und auf halber Höhe hatte er eine waagerechte gestrichelte Linie in Hellblau angebracht und darüber geschrieben: »Voraussichtlicher Schlammpegel Glasto 2011«.
»Sie fahren heute Abend nach Glastonbury«, erklärte Steve und sah Zoë an. »Wollen drei Tage im Bus schlafen. Nett.«
»Zum Pilton-Schlammbad? O Gott, bin ich neidisch. Lässt du sie gern fahren, nach all dem?«
Sally sah zu, wie Millie sich in Nials Campingbus nach vorn lehnte und etwas – ein Amulett oder eine Schleife – am Rückspiegel befestigte. Sie sah, wie Nial seine Krawatte lockerte – er hatte immer noch eine bräunliche Kruste auf einer Seite seines Gesichts, die er sich bei dem Sturz über den Steilhang aufgeschrammt hatte. Die beiden wirkten unbeholfen und fremd in ihrer Beerdigungskleidung – Millie in weißer Bluse und schwarzem Rock, mit schwarzen Pumps an den bloßen Füßen,
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