Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
markierten Absperrung gelassen. Etwa dreißig Meter weiter, in einem Teil des Gestrüpps, der einen natürlichen Tunnel bildete, stand ein weißes Zelt.
Zoë und Ben stiegen in die weißen Overalls der Spurensicherung, streiften die Kapuzen über und zogen Handschuhe an. Dann duckten sie sich in das Zelt. Drinnen war es warm und stickig; es roch nach zertretenem Gras und Erde, und überall auf dem Boden verteilt lagen leichte Trittplatten aus Aluminium.
»Sie ist es.« Der leitende Kriminaltechniker stand gleich hinter dem Zelteingang und machte sich Notizen auf einem Clipboard. Er blickte nicht auf, als sie hereinkamen. »Kein Zweifel. Lorne Wood.«
Hinter ihm, am Ende einer Reihe von Trittplatten, ging der Spurensicherungsfotograf um eine schlammverschmierte Plane herum und machte Videoaufnahmen.
»Mit solchen Planen bedecken sie Brennholz auf den Wohnbooten. Aber auf diesem Kanalabschnitt vermisst niemand eine. Der Kerl hat sie damit zugedeckt. Wenn man sie so sieht, könnte man meinen, sie läge im Bett.«
Er hatte recht. Lorne lag auf dem Rücken, als schlafe sie. Ein Arm ruhte auf der Plane, die ihr wie eine Bettdecke über die Brust gezogen worden war. Ihr Kopf war zur Seite gerollt, das Gesicht dem Zelteingang abgewandt. Zoë konnte es nicht sehen, aber das T-Shirt konnte sie sehen. Grau – mit der Aufschrift »I am Banksy« quer über der Brust. Lorne hatte es getragen, als sie gestern Nachmittag das Haus verlassen hatte. »Wann wurde sie als vermisst gemeldet?«
»Um acht«, sagte Ben. »Da sollte sie auf dem Heimweg sein.«
»Wir haben ihre Schlüssel gefunden«, sagte der Spurensicherer. »Aber immer noch kein Telefon. Nachher kommt eine Tauchereinheit und sucht den Kanal ab.«
In einer Ecke des Zelts warf ein Kriminaltechniker ein Paar schwarze Ballerinas in einen Beutel. Er spießte ein rotes Fähnchen in den Boden, versiegelte den Beutel und setzte seine Unterschrift quer über das Siegel. »Hat man sie da gefunden?«, fragte Zoë ihn.
Er nickte. »Genau hier. Alle beide.«
»Weggeschleudert? Abgestreift?«
»Ausgezogen. Sie standen so.« Der Techniker streckte beide Hände aus und hielt sie säuberlich parallel nebeneinander. »Einfach hingestellt.«
»Ist das Erde, was da klebt?«
»Ja. Aber nicht von hier. Die stammt vom Leinpfad irgendwo.«
»Und dieses Gras – wie das plattgedrückt ist?«
»Vom Kampf.«
»Viel ist es nicht«, stellte sie fest.
»Nein. War anscheinend schnell vorbei.«
Der Fotograf war mit seinen Videoaufnahmen fertig. Er wich zurück, damit Zoë und Ben an die Leiche herantreten konnten. Am Fußende der Plane verzweigten sich die Trittplatten in zwei Richtungen und führten um den Leichnam herum. Ben und Zoë gingen mit vorsichtigen Schritten zu der Seite, der Lornes Gesicht zugewandt war. Eine ganze Weile standen sie schweigend da und schauten auf sie hinunter. Sie waren beide seit über zehn Jahren bei der Kriminalpolizei, und in dieser Zeit hatten sie nur mit einer Handvoll Morde zu tun gehabt. Und keiner davon war vergleichbar mit dem hier.
Zoë blickte auf und sah den leitenden Techniker an. Sie spürte die aufsteigenden Tränen. »Was hat ihr Gesicht so entstellt?«
»Wissen wir nicht genau. Wir glauben, sie hat einen Tennisball zwischen den Zähnen.«
»O Gott«, sagte Ben. »O Gott.«
Der Kriminaltechniker hatte recht: Ein Streifen Klebeband spannte sich quer über Lornes Mund. Er hielt einen kugelförmigen Gegenstand fest, der dort hineingedrückt worden war, so weit es ging. Oben und unten schimmerte leuchtend grüner Flausch hervor. Der Unterkiefer war so weit aufgestemmt, dass es aussah wie Zähnefletschen oder Schreien. Die Nase war zu einem blutigen Klumpen zerschlagen, und die Augen waren zusammengekniffen. In ihren Haaren war noch mehr Blut; zwei rote Linien führten unter dem Klebstreifen hervor und liefen am Unterkiefer entlang nach hinten bis zu den Ohren. Sie musste auf dem Rücken gelegen haben, als das Blut geflossen war.
»Wo kommt das her?«
»Aus dem Mund.«
»Hat sie sich auf die Zunge gebissen?«
Der Kriminaltechniker zuckte die Achseln. »Vielleicht ist die Haut geplatzt.«
»Geplatzt?«
Er berührte seine Mundwinkel. »Wenn man einen Tennisball gewaltsam in den Mund presst? Das würde die Haut an diesen Stellen stark dehnen.«
»Aber Haut platzt nicht …«, fing sie an, doch dann erinnerte sie sich, dass Haut durchaus platzen konnte. Sie hatte es schon gesehen: auf dem Rücken und im Gesicht von Selbstmördern, die aus
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