Atemlos
wir könnten das Nötige tun.«
Er bewegte langsam den Kopf hin und her. »Nein, nein … Ich muß ihn sehen.«
»Gut. Ich bring dich hin.«
Zu dritt gingen wir zu der Höhle. Paul strömten die Tränen nur so übers Gesicht, als er auf das hinabsah, was da noch von seinem Vater übrig war. An manchen Knochen saßen immer noch ein paar Fleischfetzen, aber die waren braun und mumifiziert, und ein paar Haare hingen auch immer noch an dem ansonsten glattgepickten Schädel.
Ich machte ein paar Fotos, und dann machten wir uns daran, das Gerippe vom Sand zu befreien. Unter der dünnen Lage Sand, die Billsons letzte Ruhestatt geworden war, fing gleich der Fels an; hier konnten wir ihn also nicht begraben. So schichteten wir denn aus Steinen eine Art von Hünengrab über Peter Billson auf, und Paul schluchzte die ganze Zeit. Dann gingen wir zur Luftikus zurück, und Byrne trug die Dose unterm Arm, die neben dem Gerippe gelegen hatte. Wir hatten auch ein paar Dinge mit Billson bestattet, so zwei Pakete mit der Firmenaufschrift Brock – das war ein pyrotechnisches Werk. In dem einen Paket waren Notraketen, in dem anderen Rauchsignale, alle unbenutzt, denn Billson hatte ein Rettungsflugzeug weder zu sehen noch zu hören bekommen. Wir standen neben der Luftikus, und der Alte hielt Paul die Keksdose hin. »Gehört dir«, sagte er nur.
Paul nahm die Dose an sich, setzte sich in den Sand und stellte die Dose vor sich hin. Lange betrachtete er sie schweigend, dann näherte er sich ihr mit zitternden Fingern, um sie zu öffnen. Es sah nicht so aus, als packe einer ein Weihnachtsgeschenk aus. In der Dose lag allerhand Papierkram.
In den letzten Tagen seines Lebens hatte Peter Billson ein Tagebuch geführt – in seinem Logbuch. Ich habe nicht vor, Einzelheiten daraus bekanntzugeben, es ist einfach zu erschütternd. Es ist vorgeschlagen worden, dieses Tagebuch demnächst in einer Ausgabe des Journal of the Royal Aeronautical Society zu veröffentlichen. Ich bin dagegen. Die geistige Agonie eines Mannes im Angesicht des Todes gehört zu den allerprivatesten Dingen der Welt.
Billsons Fluglizenz war dabei, ein versiegelter Umschlag mit der Aufschrift Für meine geliebte Helen, eine abgetragene Brieftasche aus Leder, eine Pfeife und ein leerer Tabaksbeutel, eine Treibstoff-Kreditkarte von Shell, ein Bündel Geldscheine – britisches, französisches und nigerianisches Geld; es berührte mich merkwürdig, die große, alte englische Fünfpfundnote wiederzusehen – sowie etlicher Krimskrams.
Paul nahm den an seine Mutter adressierten Brief in die Hand, seine Unterlippe zitterte. »Warum war ich so mies zu ihr?« flüsterte er. Er reichte mir den Brief hin. »Verbrennen Sie das, bitte. Machen Sie es nicht auf.«
Ich nickte. Byrne bückte sich und hob eine Karte auf. »Die Tabelle mit der Kompaßabweichung«, sagte er. »Mißweisung auf keiner Route stärker als anderthalb Grad.« Er hielt sie mir hin. »Solange man sie kennt, spielt eine Mißweisung überhaupt keine Rolle.«
Auf der Karte war eine Kompaßrose aufgedruckt, rundherum mit Tinte Zahlen eingetragen. Daneben die Unterschrift des Sachverständigen, der die Kompaßjustierung vorgenommen hatte, datiert vom 4. Januar 1936. Ich drehte die Karte um. Da war ein Satz auf die Rückseite gekritzelt. Ich hätte verdammt gern noch gewußt, ob das blöde Ding stimmt. Ich stieß den Alten an und zeigte es ihm. »Am Schluß hat er etwas geahnt«, flüsterte ich.
Dem Tagebuch konnte Byrne entnehmen, was er über die Landung wissen wollte. »Er war wirklich ein guter Flieger, Paul«, sagte er. »Da steht genau, wie er runtergekommen ist. Der Motor hatte ausgesetzt, und er ging mit einer Geschwindigkeit von fünfundfünfzig Knoten im Gleitflug nieder. Der Mond stand tief, und plötzlich sah er Felsen, die sich vor dem Mond abzeichneten. Er ließ die Maschine durchsacken, stellte sie dabei mit der Nase hoch, damit verlor er gleichzeitig Tempo und Auftrieb; fast senkrecht fiel er aus dem Himmel. Er nennt das eine ›Pfannkuchen-Landung‹. Ich hab' den Ausdruck so noch nie gehört. Er schreibt wörtlich: ›Das alte Mädel hat sich sauber wie ein Pfannkuchen hingesetzt, aber ich fürchte, daß sie sich beide Beine gebrochen hat – eins schlimm. Was soll's, von hier startet sie sowieso nie wieder.‹ Dann las ich das Logbuch. Mit elf Litern Wasser hatte Billson zwölf Tage durchgehalten. Im Anfang wirkte die Handschrift noch fest und entschlossen. Zum Ende hin verfiel sie in
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