Atemlos
dachte ich, wenn wir auch tatsächlich die Leiche fänden.
Ich blickte in die Runde und versuchte, mich in Peter Billsons Situation zu versetzen. Zwei Möglichkeiten: Entweder hatte er sich entschlossen zu Fuß sein Heil zu versuchen – oder nicht. Paul und Byrne waren beide ziemlich überzeugt, er habe das einzig Richtige getan und sei bei der Luftikus geblieben, wie es ja auch das Reglement vorsah. Er rechnete gewiß mit einer Suchaktion aus der Luft, und ein Flugzeug ist leichter zu sichten als ein einsamer Wanderer. Nur mit einem rechnete er nicht: daß kein Mensch auch nur im Traum daran dachte, das Tassiligebiet abzusuchen.
Wenn er also nicht abgehauen war – wo war er dann? Atitel hatte keine Leiche gesehen, aber hatte er danach gesucht? Ich sagte Paul nichts und kletterte auf die umgestürzte Felssäule, von der aus ich die Luftikus entdeckt hatte. Billsons erste Reaktion mußte gewesen sein: weg aus der Sonne. Also suchte ich nach einer Höhle.
Eine halbe Stunde später entdeckte ich Überreste eines menschlichen Körpers. Der Fundort: eine dieser niedrigen, ausgewaschenen Höhlen, die typisch für das Tassili sind; Malereien von Männern, Vieh und Jagdszenen bedeckten die Höhlenwände. Ich benutze hier das Wort Überreste bewußt: Denn die Abfallvernichter der Wüstennatur hatten sich über den Leichnam hergemacht, Teile fehlten. Der Rest war halb vom Flugsand verweht. Ein stumpf glänzender Gegenstand zog meinen Blick an: eine Blechbüchse, vielleicht eine alte Keksdose.
Ich ließ alles liegen, wie es lag, und ging sofort zurück. Paul hatte sich nicht vom Fleck gerührt, aber Byrne saß jetzt oben auf dem Flugzeug, über einer geöffneten Luke im Rumpf.
»Ich glaub, ich hab's«, sagte er, als ich zu ihm hochkletterte.
»Ich hab' auch was«, sagte ich. »Die Leiche.«
»Ach!« meinte er. Er drehte langsam den Kopf, sah zu Paul hinab, dann wieder auf mich. »Sieht übel aus, was?«
»Ziemlich. Paul hab' ich noch nichts gesagt. Du weißt ja, wie er ist.«
»Wirst nicht drum herumkommen«, meinte er entschieden. »Er muß es wissen, und er muß ihn sehen. Wenn nicht, quält er sich sein Leben lang mit Fragen.« Ich wußte, wie recht er hatte. »Aber sag ihm noch nichts. Schauen wir uns erst mal das hier an.«
»Was hast du gefunden?«
»Wenn du ins Cockpit schaust, siehst du links einen Messinggriff. Das ist eine Art Zweiwegschaltung, mit der die Treibstoffzufuhr zum Motor reguliert wird. So, wie sie eingestellt ist, bezieht der Motor seinen Treibstoff aus dem Haupttank. In dieser Stellung hab' ich ihn auch vorgefunden. Wenn du nun den Griff in die Gegenstellung drehst, bezieht der Motor den Treibstoff aus dem Zusatztank, den Billson sich in den Frachtraum hat einbauen lassen. Bist du jetzt im Bilde?«
»Treibstoffzufuhr aus dem Haupttank, als er zur Notlandung ansetzen mußte?«
»Genau.« Er zog die Fotos, die ich ihm gegeben hatte, aus der Gandura. »Den technischen Daten entnehme ich, daß der Haupttank ein Fassungsvermögen von 1.473 Litern besaß – gut für 2.736 Kilometer bei normaler Reisefluggeschwindigkeit; das heißt, bei fünfundsiebzigprozentiger Motorkraft. Nun handelte es sich aber um einen Wettflug, also flog Billson nicht mit Dreiviertelkraft, sondern mit voller Pulle. Nehmen wir neunzig Prozent an, und dementsprechend verminderte Reichweite. Sagen wir gut 2.400 Kilometer. Die Strecke Algier-Kano beträgt aber 2.880 Kilometer – also etwa vierhundertachtzig Kilometer mehr.«
»Deshalb der Zusatztank.«
»Richtig. Denn er brauchte ja noch Sprit für etwa fünfhundert Kilometer über die Normalreichweite hinaus. Mindestens. Er mußte mit Gegenwind rechnen, und sicher wollte er auch nicht mit dem letzten Tropfen in finsterer afrikanischer Nacht den Flughafen Kano suchen müssen. Andererseits wollte er seinen Zusatztank doch wieder nicht bis zur Halskrause füllen, denn Ballast macht langsam. Ich habe versucht, wie Billson zu rechnen, und bin dabei zu der Schlußfolgerung gekommen, daß er noch etwa sechshundertsechzig Liter im Zusatztank mitgenommen haben dürfte. Und weißt du, was daraus folgert?«
»Sag's mir.«
»Das ist, bei dem Kurs, den er flog, genau die Menge für die Strecke von Algier bis zu dieser Stelle hier.«
»Du meinst also, in dem Augenblick, da er vom Zusatztank auf den Haupttank umschaltete, fiel der Motor aus. War der Haupttank leer?«
»Keineswegs! Billson war kein Idiot. Das Auftanken hat er bestimmt persönlich überwacht. Außerdem gibt's
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