Atemlos
hege.
Jedenfalls, dies alles erklärte nun leicht Miß Aarviks sparsam möbliertes Appartement und ihre wohlgepflegte, wenn auch leicht aus der Mode gekommene Kleidung. Sie hätte es besser verdient gehabt.
Ich sagte: »Hat die Behandlung Paul geholfen?«
»Ich glaube schon. In letzter Zeit war er bedeutend ruhiger, bis …«
Bis English sich an seine giftspritzende Schreibmaschine setzte und Paul durchdrehte, allen Mut zusammennahm, um einen Chefredakteur anzumotzen – und dann zu verschwinden.
»Nun denken Sie einmal scharf nach. Niemand kennt Ihren Bruder so gut wie Sie. Wenn er aus irgendeinem Grund aus den Gleisen springt – was kann er da im Sinn haben?«
»Ich kann mir da überhaupt nichts vorstellen, außer …« Sie schüttelte den Kopf. »Aber nein, das ist wirklich idiotisch.«
»Vielleicht doch nicht«, sagte ich aufmunternd.
»Nun, schon als kleiner Junge träumte er immer davon, den Namen seines Vaters reinzuwaschen, indem er das Flugzeug findet. Er wollte nach Afrika gehen und suchen. Sie wissen ja, daß die Maschine nie gefunden worden ist. Ein unrealisierbarer Traum, fürchte ich. Aber Paul war immer ein unrealistischer Mensch.«
Ich dachte darüber nach. Irgendwo südlich des Mittelmeeres und nördlich des Kongo. Die Sahara. Nein, nicht sehr realistisch.
»Natürlich hat er den Gedanken längst aufgegeben«, sagte sie. »Irgendwann wurden auch für Paul all diese Spinnereien unsinnig. Für solche Unternehmungen braucht man viel Geld, und Geld hatte er ja nie.«
Ihr jetzt zu sagen, daß Paul die Taschen voller Geld hatte, wäre wohl eine sinnlose Grausamkeit gewesen. Aber ich hatte jetzt immerhin einen Hinweis, wenn auch von zweifelhaftem Wert. »1936«, sagte ich, »das ist lange her. Ich glaube kaum, daß man aus dieser Zeit noch viel findet. Was hielten denn Ihre Eltern von Pauls Ideen?«
»Meine Mutter sagte immer: Das verliert sich, wenn er erst erwachsen ist. Aber so erwachsen ist er nie geworden. Mutter hat bei mir gelebt und ihn nicht oft gesehen. Ihr war es immer unangenehm, wenn er so viel von seinem Vater sprach. Sie hielt es für ungesund. Und das war es auch sicher. Er hat ja seinen Vater nie gekannt.«
»Und Ihr Vater – was hielt er davon?«
Sie lächelte dünn. »In Ihren Augen sind wir sicher eine komische Familie. Auch ich habe meinen Vater nie gekannt. Er starb vor meiner Geburt. Mutter hatte ihn im Krieg geheiratet, und er fiel an der Front. Er war Norweger, wissen Sie.«
»Ihre Mutter hatte es wohl nicht leicht im Leben«, sagte ich. »Zwei Ehemänner starben ihr weg, und jeder hinterläßt ihr ein kleines Kind, das sie allein aufziehen muß – nicht unbedingt ein Paradies.«
»Ach, sie war immer heiter – bis zum letzten Augenblick.«
»Aber eins begreife ich nicht. Ihrer Mutter sind vom Gericht hunderttausend Pfund zugesprochen worden. Was ist damit passiert? Da müßte ihr doch etwas fürs sorglose Alter übriggeblieben sein.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Miß Aarvik dunkel. »Das habe ich mich auch oft gefragt. Mutter wollte nie darüber sprechen. Sie müssen wissen, ich habe erst Jahre später von der Sache erfahren. Da war ich schon dreizehn. Und da bedeutete es mir nicht viel; Kinder machen sich nie viel Gedanken über Dinge, die vor ihrer Geburt passiert sind, die Gegenwart ist immer viel aufregender.«
»Aber später – haben Sie Ihre Mutter nie gefragt?«
»Versucht habe ich es. Aber sie wollte nicht davon sprechen.« Sie sah mich geradeheraus an. »Ich glaube, ich habe viel von meinem Vater in mir, Thorsten Aarvik hieß er. Ich habe ihn natürlich nie gekannt, und deshalb kann ich es auch nicht genau beurteilen. Aber Paul ähnelte sehr meiner Mutter. Meine Mutter konnte manchmal sehr albern und gedankenlos sein. Nicht willkürlich, verstehen Sie, aber manchmal tat sie Dinge, ohne weit vorauszudenken. Vielleicht ist irgend etwas geschehen, worüber sie nachher aus Scham nicht sprechen wollte. Sie war vielleicht nicht sehr intelligent, aber ich habe sie sehr liebgehabt.«
Paul war also, wie es schien, der nicht allzu helle Sohn einer nicht allzu hellen Mutter. Damit kam ich nicht sehr weit. Ich stand auf. »Nun, jedenfalls vielen Dank, Miß Aarvik, für all die Hinweise. Sie waren sehr offen.«
Sie stand auch auf. »Ich danke Ihnen für Ihr Interesse, Mr. Stafford.« Sie lächelte schwach. »Sie sind jedenfalls in Ihren Ermittlungen viel gründlicher als die Polizei. Glauben Sie, daß Sie Paul finden können?«
Damit brachte sie
Weitere Kostenlose Bücher