Atemlos
Spritverbrauch für die Strecke nach Atakor unter zwanzig Liter lagen, und für die Strecke seit Assekrem unter fünfzig Liter. Und ich glaube auch nicht, daß es beleidigend für die ehrenwerte Firma British Leyland ist, wenn ich für den Landrover ähnliche Durchschnittswerte annehme.
Aber Billson hatte wahrscheinlich schnurgerade Striche auf der Landkarte gezogen und aufgrund dieser Luftlinien-Rechnung seinen Verbrauch kalkuliert. Aber das war nun Schnee von gestern – oder, um im Landschaftsbild zu bleiben, Sand, der aus dem Stundenglas gelaufen war. Von nun an hatten wir es mit völlig andersartigen Gegebenheiten zu tun, in denen Billsons Blödigkeit keine Rolle mehr spielte. Wenn wir ihn jetzt noch fanden, dann als Leiche – ermordet von einem Mann, der wahrscheinlich Kissack hieß.
So weit war ich mit dem Nachdenken gekommen, als ich eine Entdeckung machte. Mokhtar oder Byrne hätten sie sicher auch machen können, aber sie sahen nichts – ich sah es. Und das gab mir wieder etwas von meinem Selbstvertrauen als aktives Mitglied dieser Irrsinnsexpedition zurück; nun fühlte ich mich nicht mehr als Feriengast, während die anderen die Arbeit taten.
Ich hatte, aus keinem besonderen Anlaß, meinen Blick über den Stein schweifen lassen, auf dem ich saß. Da fiel mir eine Ameise auf. Und die lief über einen kleinen, braunen Fleck. Einen Moment machte ich mir müßige Gedanken, wieso eigentlich eine Ameise in der Koudia überleben konnte – und da sah ich noch eine Ameise. Und noch eine. Ich sah genauer hin: Eine ganze Kolonne von Ameisen zog da zwischen einem Spalt im Stein und dem Fleck hin und her.
Ich stand auf, sah zu dem Landrover hin, zog eine gedachte Linie, die ich über meinen Standpunkt hinaus verlängerte, und ging ihr nach. Und siehe da – zehn Meter weiter lag wieder ein Stein mit einem Fleck drauf. Und in einiger Entfernung noch einer. Ich drehte mich um. »He!«
»Was gibt's?«
»Ich glaube, ich hab' etwas gefunden.« Byrne kam mit Mokhtar heran. »Ist das trockenes Blut?« fragte ich.
Mokhtar machte sich die Spitze des kleinen Fingers feucht, rieb über den Fleck, schnupperte behutsam an seiner Fingerspitze, und dann sagte er ein Wort. Byrne übersetzte es. »Ja«, sagte er. »Das ist Blut.«
»Die Flecken bilden eine gerade Linie, vom Landrover her.« Ich drehte mich um und zeigte auf eine enge Kluft in den Felsen. »Ich glaube, er ist dort hinaufgegangen.«
»Okay. Mokhtar geht zuerst hoch. Er kann das besser als wir. Er sieht Spuren, von denen wir nicht einmal etwas ahnen.«
Billson – falls es Billsons Blut war – mußte die Kluft hinaufgeklettert sein, allerdings nicht, wie sich bald herausstellte, in gerader Linie. Am unwegsamen Gelände konnte es jedoch nicht gelegen haben, denn er hatte auch unnötige Umwege gemacht; einmal war er sogar wieder auf Gegenkurs gegangen. Und wir trafen auf immer größere Flecken.
»Verdammt«, sagte ich. »Was hat der Kerl da getrieben? Räuber und Gendarm gespielt?«
»Gut möglich«, sagte Byrne grimmig. »Vielleicht wurde er gejagt.«
Wir fanden ihn dann auch schließlich. Zusammengebrochen lag er in einer engen Spalte zwischen zwei Felsen; da war ein wenig Schatten. Mokhtar stieß ein Triumphgeschrei aus und zeigte nach unten. Da sah ich ihn auf dem Sand, und der Sand war blutgetränkt. Er lag auf dem Gesicht; Byrne drehte ihn behutsam um. »Ist das Billson?«
»Was weiß ich! Ich habe Billson noch nie gesehen.«
Byrne brummte etwas vor sich hin und tastete den ganzen Körper ab. Das Gesicht war aufgedunsen und geschwollen, die Haut schwärzlich. Und was überhaupt nicht in die Landschaft paßte – er trug einen normalen Anzug. Das heißt: normal für England. Sogar ich hatte vor meiner Abreise so viel Verstand gehabt, mich bei meinem Schneider zu erkundigen, was der feine Mann in der Sahara trägt – freilich war das, was er mir dann genäht hatte, hierzulande völlig unnütz. Die Wahrscheinlichkeit wuchs, daß es sich um Billson handelte. Byrne sagte: »Wer immer das ist – er hat ein Loch im Fell. Angeschossen.« Er spreizte die Finger von sich – Blut klebte an seiner Hand.
»Er lebt«, sagte ich.
»Nicht mehr lange, wenn wir nichts unternehmen.« Byrne sprach auf Mokhtar ein, der sich daraufhin schnell entfernte. Byrne bettete den Mann bequemer, dann griff er ihm in die Jacke und zog einen Paß und eine Brieftasche hervor. Er flippte den Paß mit der Hand auf. »Da haben Sie Ihren Jungen. Es ist Paul Billson.«
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