Atemlos
Er gab mir Paß und Brieftasche. In der Brieftasche steckte ein Paket algerisches Geld, ein kleineres Bündel englischer Fünfpfundscheine und ein paar Papiere. Ich machte mir nicht die Mühe, sie zu untersuchen und steckte mir alles in die Tasche.
»Jetzt wird's ernst für uns«, sagte Byrne. Er zeigte auf Billson. »Oder vielmehr für ihn. Noch eine Nacht hier draußen, und er ist hin. Wenn wir versuchen, ihn abzutransportieren, ist das nicht besser für ihn. Wir wissen ja, wie die Strecke bis Assekrem aussieht. Ob er das in seinem Zustand durchsteht …«
»Die alte Entscheidung zwischen zwei Übeln …«
»Ja. Also – wir holen ihn raus und hoffen, daß er's überlebt.«
Er sah auf ihn hinab. »Armer, dickköpfiger Bastard«, sagte er leise. »Nun möcht' ich doch gern wissen, wie gut Hesther seinen Alten gekannt hat. In dem Brief an Sie hat sie geschrieben, sie würde mir telegraphieren. Ich hab's Ihnen nicht gesagt – aber das Telegramm war zehn Seiten lang, und in ihren Anweisungen war sie ziemlich bestimmt und detailliert.«
»Ist das Blut gestillt?« fragte ich.
»Ja. Ich hab' ihm einen Hemdzipfel in das Loch gestopft. Wir können nicht viel machen, bis Mokhtar zurückkommt. Er bleibt nicht lange weg.«
»Sie wußten also von Paul Billson, bevor ich kam.«
»Na klar. Aber da war er schon auf und davon.«
»Wenn Sie nicht auf mich gewartet hätten, wären Sie vielleicht früher hier gewesen.«
»Nicht sehr viel früher. Hesthers Telegramm kam am Morgen, nachmittags kamen Sie. Ich weiß nicht, wann sie es abgeschickt hat, aber die Postverbindungen in diesem Lande sind nicht gerade wegen ihrer Verläßlichkeit bekannt.«
»Also haben Sie mich schon eine hübsche Weile an der Nase herumgeführt.« Irgendwie war es bizarr, so über dem Körper eines wahrscheinlich sterbenden Fremden Konversation zu machen.
Byrne sagte: »Ich brauchte Zeit, um mir ein Bild von Ihnen zu machen. Ich gehe nicht gern mit Leuten auf Tour, denen ich nicht traue. Hierzulande kann das tödlich enden.«
»Ich hab' also die Prüfung bestanden«, sagte ich.
Er grinste. »Um Haaresbreite.«
Ein Schatten fiel über uns. Mokhtar kam mit Verbandszeug, Wasser und Sandleitern zurück. Die Sandleitern wurden normalerweise, wie Byrne mir vorher schon einmal erklärt hatte, unter die Räder geschoben, wenn der Toyota im Sand steckenblieb. Sie bestanden aus Stahlrohren und konnten auf einen Meter achtzig ausgezogen werden. »Nur Stinkpötte brauchen so was«, hatte er gesagt. »Kamele nie.«
Byrne riß einen Streifen Tuch ab, tauchte es ins Wasser und schob es Billson in den Mund – behutsam, damit er nicht erstickte. Dann legte er einen Verband an, dieweil ich mit Mokhtar die Leitern zusammenbaute. So hatten wir eine Trage.
Wir brauchten eine Stunde, bis wir mit Billson die relativ kurze Strecke bis zu unserem Toyota zurückgelegt hatten.
15. Kapitel
Wir befanden uns zwei Stunden tief in der Koudia, aber mit Billson im Wagen dauerte es vier Stunden bis Assekrem. Byrne suchte sich im felsübersäten Ödland die Spur so sorgsam aus wie nur möglich, trotzdem wäre es für Billson die Hölle gewesen, falls er etwas gespürt hätte. Aber zu seinem Glück wachte er aus seiner Bewußtlosigkeit nicht auf. Ich kümmerte mich um ihn, so gut ich konnte, ich versuchte, seinen geschundenen Leib mit meinem eigenen Körper vor den Rumpelstößen des Wagens zu schützen; ich netzte ihm das Gesicht, ich versuchte, ihm Wasser einzuflößen, aber er rührte sich immer noch nicht aus eigener Kraft, gab auch keinen Ton von sich.
Aber Byrne fuhr an der Abzweigung des Assekrem-Pfades vorbei. Erst fünf Kilometer weiter schlugen wir unser Lager auf; Mokhtar holte eine zusammengerollte Decke aus dem Heckraum des Toyota und baute daraus einen Windschutz, hinter den wir Billson betteten. Unterdessen war die Nacht hereingebrochen; im gespensterhaftgleißenden Schein einer Gasdrucklampe legte Byrne unserem Halbkrepierten einen neuen Verband an.
Byrne richtete sich, auf den Fersen sitzend, auf und sah zu, wie Mokhtar das schwarzhäutige Gesicht Billsons mit einer Salbe bestrich. »Wenn wir nur irgendwie Wasser in seinen Leib reinkriegten«, sagte er, »dann hätte er eine Überlebenschance. Es ist nur eine Schulterwunde. Die Kugel ist glatt durchgeschlagen. Knochen sind nicht verletzt. Nur daß er so lange der Sonne und dem Frost ausgesetzt war, macht ihn kaputt.«
»Warum haben Sie nicht am Assekrem angehalten?« fragte ich. »Die Burschen auf dem
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