Atemlose Begierde
vorsichtig
dazu befragen.«
Ich war kreidebleich. Er hatte morgen eine Überraschung für mich
bereit, und das hier war auch keine schlechte Geschichte. Er hatte einmal bei
einem Ausflug beiläufig etwas erwähnt, aber ich wollte es damals nicht wissen.
Ich wünschte, ich könnte am Morgen einfach ins Flugzeug nach Berlin steigen.
»Tara, ich möchte ihn morgen lieber nicht sehen.«
»Verzeih mir, liebe Jo, aber ich hab ihn bereits eingeladen. Er
schien so nett, ich konnte doch nicht wissen, dass er sone illustre
Vergangenheit hat.« Sie zwinkerte. »Es würde mich freuen, wenn du auch kommst.
Wenn du keine Zeit hast, bin ich dir nicht böse. Richard wird die Runde wirklich
phantastisch ergänzen. Michelle wird da sein, Vinzenz …«
»Tara, du bist doch meine Freundin, oder?«
»Ja, klar, warum?«
»Er ist verrückt«, sagte ich tonlos.
»Das merkst du erst jetzt? Komm, sei mal ehrlich, gerade das gefällt
dir doch an ihm.«
»Aber erst jetzt setzt sich das Puzzle langsam zusammen. Ich weiß so
wenig über ihn.«
»Dann wirst du morgen sicher mehr über ihn erfahren.«
»Das befürchte ich auch.« Ich seufzte.
Wir gingen zu Bett. Was seine Faszination für mich ausmachte, begann
ich mir nun zusammenzureimen. Immer wieder spielte ich Situationen aus meiner
Vergangenheit mit ihm in meinem Kopf durch. Von der ersten Sekunde an hatte er
es drauf angelegt, meine Fügsamkeit zu testen, meine Bereitschaft, auf seine
besonderen kleinen Wünsche einzugehen, auszuloten. Mich zu führen, mich zu
prägen war immer Teil seines Spiels gewesen, wie auch seine Entscheidungsgewalt
bei der Auswahl der Kleider für mich zeigte. Er wusste stets genau, was er
wollte. Hatte er mich zu seiner Marionette gemacht, zu seiner lebendigen
Hannah-Puppe? Immer wieder hatte er insistiert, dass ich mehr Familiensinn
hätte, als ich mir eingestand, und mir ein Ehering gut stehen würde. All das
hatte ich in meiner bodenlosen Eitelkeit auf mich bezogen, aber dass er mich
nicht ausgesucht hatte, weil ich Jo war, sondern die Reinkarnation seiner
Exfrau, auf die Idee war ich natürlich nie gekommen. Mir wurde kotzübel im Bett.
Ich lief auf die Toilette und übergab mich.
Als ich meinen Mund ausgespült und mich wieder hingelegt hatte,
klingelte mein Telefon. Ivo.
Die Abenteurerin in mir war zu einem kleinen Krümel geschrumpft. Mit
schalem Geschmack im Mund sagte ich ihm, dass die Galeristin meinen Flug
umgebucht hatte und ich erst zwei Tage später zurückkommen würde. Für ihn
stellte das kein Problem dar. So eingedeckt mit Arbeit, wie er wieder war,
schien er meine Abwesenheit nicht mal bemerkt zu haben.
»Vermisst du mich denn gar nicht?«, fragte ich, den Tränen nahe.
»Natürlich fehlst du mir.«
Das war Balsam für meine Seele. Sein vertrauter Schweizer Akzent, der
sich über die Jahre im Ausland nur ganz leicht abgeschliffen hatte, seine warme
tiefe Stimme gaben mir Geborgenheit. Gleichzeitig dachte ich, dass ich ihm
vielleicht bald sehr weh tun würde, falls Rick seine Drohungen wahr machen
sollte.
»Ich freu mich auf dich.«
»Schlaf gut, träum was Süßes, Jo«, sagte er.
Ich schloss die Augen, konnte aber nicht einschlafen. Ich sah Ivo vor
mir und sehnte mich plötzlich nach ihm wie selten zuvor. Tara hatte recht
gehabt, Ivo war ein stattlicher Mann. Und jetzt noch
viel stattlicher als früher. Seine seegrünen Augen hinter der rechteckigen
Hornbrille, die blonden Haare, die sich zwar zu lichten begannen, sich aber in
einer sagenhaften Üppigkeit über seine Brust ausbreiteten. Wie gerne hätte ich
mich jetzt in sie gekuschelt und vergraben.
Allerdings zeichnete sich durch die Flasche Bier, die er abends zur
Entspannung nach seinem hektischen Beruf brauchte, nun ein Bauchansatz bei ihm
ab. Er verlor zunehmend seine Form, war wesentlich fülliger geworden und träger
als früher. Auch wenn er sonst die Zeichen von Alter unter Kontrolle zu halten
versuchte, wurden nun die Jahre, die zwischen uns lagen, immer offensichtlicher.
Früher war das ganz anders, er hielt sich fit, rauchte nicht, hatte nichts mit
Drogen am Hut. Vielleicht hatte mich auch das damals, als ich Mitte 20 war, an ihm überzeugt; in einer Zeit, in
der ich im Gegensatz zu ihm einigermaßen tief in Problemen dieser Art gesteckt
hatte. Er war der Saubermann für mich gewesen, besonnen, reif, einer, an dem
alles stimmte. Mein Hang zu langen durchzechten und bekifften Nächten in
dröhnend lauten Clubs gefiel ihm an mir. Beinahe jede Nacht musste ich mich
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