Atemlose Begierde
ich, um abzulenken.
»Das kann ich dir nicht verraten. Eine Überraschung für Mädchen, die
nicht immer gerne gehorchen und immer wieder weglaufen.« Schon war er wieder
obenauf.
Der Eiffelturm kreiste bereits vor meinem Kopf.
»Verrätst du mir noch kurz, wie du heute riechst?«
»Wie bitte? Mein Parfüm?«, fragte ich, obwohl ich ahnte, was er
meinte.
Er lachte.
»Ich würde dich gerne selbst riechen, aber du bist viel zu weit
weg.«
Er schickte mir einen schmatzenden Kuss durchs Telefon. Ich
schluckte.
»Rick, ich denk drüber nach.«
»Sag mir morgen Bescheid, ich kann nicht mehr warten. Mein Flugzeug
startet in einer Minute, ich muss ausschalten. Schlaf gut, meine Süße, und träum
von mir.«
»Was, du bist am Flugplatz?«
»Ich flieg nach London.«
»Von wo?«
»Paris.«
Einige Tage später, Ivo war wieder zurück, ging ich
abends nach einer wunderbaren Yogastunde mit Freunden in eine Kneipe. Paris
geisterte bereits durch meinen Kopf, aber ich hatte Rick noch nicht zugesagt.
Ich hatte diesen Winter keine offizielle Reise dorthin geplant. Ganz einfach
wär’s für mich nicht gewesen, Ivo so eine Reise zu erklären, und so verwarf ich
es wieder. Wir standen am Tresen, unterhielten uns bestens, da läutete mein
Telefon. Es war Ivo, der zur Abwechslung mal für uns zu Hause kochte. Nicht,
dass er besonders gut darin gewesen wäre, aber es gab Ghäck in Omeletts gefüllt,
ein typisches Berner Gericht, und falls ich nicht mehr im Atelier arbeiten
würde, wäre ich sehr herzlich dazu eingeladen, mit ihm zu Abend zu essen. Wie
nett. Ich ließ alles stehen und liegen und freute mich auf einen Abend ganz mit
ihm allein.
Als ich zu Hause ankam, sprangen Anubis und Suki erfreut an mir hoch.
Ivo war allerdings schon beim Dessert angelangt. Vanillepudding aus der Packung,
mit Himbeersirup. Der Geruch von verbrannten Zwiebeln lag noch in der Luft. Ich
setzte mich zu ihm, in die mit hellgrauem Holz vertäfelte Küche, gegenüber vom
Fenster, das mir den Ausblick über die Dächer der abendlichen Stadt freigab. Der
weite Himmel leuchtete rosa. Ivo füllte für mich ein paar Omeletts und
verschwand anschließend ins Wohnzimmer zu seiner Zeitung. Da saß ich nun, allein
beim Abendessen. Mit dem vollem Teller, vor einer Metallschüssel mit
Tomatensalat, dem leeren Geschirr meines Liebsten und der im Dunklen leuchtenden
Stadt vor mir. Anubis hechelte mich an. Als ich mich zu Ivo auf die Couch
gesellte, konnte ich ihn mit keinem noch so geschickten Versuch von seiner
Zeitung lösen.
»Ich bin heute sehr müde«, murrte er, ohne von der Zeitung
hochzublicken.
»Das merk ich«, knurrte ich.
Dann stand er auf, ging in die Küche und telefonierte ausgiebig mit
seinem Geschäftspartner, fast eine ganze Stunde lang. Anschließend winkte er mir
zu und ging ins Bett. Ohne Gute-Nacht-Kuss, ohne Streicheleinheit, ohne zu
fragen, wie mein Tag war. Dafür war ich nun nach Hause geeilt, es war ungefähr
die hundertste Wiederholung des immergleichen Spiels. Das war die Idee einer
glücklichen Beziehung. Das, wovon alle Sparkassenwerbungen handelten. Eine
phantastische Wohnung, ein erfolgreiches Paar und zwei elegante, silbergraue
Hunde. Ich sagte nichts mehr, sondern litt und schrieb alles auf die Liste in
meinem Kopf mit der Sammlung von kleinen seelischen Grausamkeiten, die er an mir
verübte. Es stand fest für mich: Ich fliege nach Paris.
*
Mit diesem Groll Ivo gegenüber und den Gedanken an meine
Reise nach Paris vor zehn Monaten, in der mir Rick so nahegekommen war wie noch
nie, ging ich auf das zum Ausstellungshaus umgebaute Kraftwerk zu. Seit Paris
war in mir kein Stein mehr auf dem anderen geblieben. An der Rampe zum Eingang
stand bereits die platinblonde Russin, die mich um einen Kopf überragte. Mein
Leben hier und jetzt in London war eine ziemliche Katastrophe.
»Hey, hey«, sagte Oksana und küsste mich herzhaft auf beide
Wangen.
»Schön, dass ich dich auch noch zu sehen kriege! Aber schade, dass du
bei meiner Ausstellungseröffnung nicht mit dabei warst.«
»Leider war ich da noch nicht aus New York zurück. Aber es ist gut
gelaufen?«
»Ja, super, Victoria ist großartig. Die lange Durststrecke scheint
überwunden.«
»Wie ist Berlin so?«, fragte sie heiter.
»Ganz … ähm … lauschig eigentlich.«
»Ah, ja, lauschig? Ist London aufregender oder was?«
»Na ja. Du weißt ja, was mir Berlin bedeutet. Meine Familie ist da,
es ist bequem, es ist grün, nicht viel anderes. Warum fragst du, willst
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