Atevi 1 - Fremdling
hatte er ihn, Tanos Partner, das letzte Mal gesehen. Oder war es vorgestern gewesen? Sein Zeitgefühl war seit der Abreise aus Shejidan völlig durcheinandergeraten.
Tano hatte keinen besorgten oder niedergeschlagenen Eindruck gemacht – was nicht viel besagte, da den Mienen der Atevi ohnehin kaum eine Regung abzulesen war. Sie zeigten nicht, was sie fühlten, wenn sie fühlten, und man konnte nicht…
Maigi forderte Djinana auf, den Boiler zu feuern, legte ihm, Bren, eine warme Decke um die Schulter und sagte: »Nehmen Sie Platz, Nadi. So kann ich Ihnen besser die Stiefel ausziehen.«
Bren ließ sich vorm Kamin in den Sessel fallen. Seine Hände waren eiskalt, so auch die Füße, die Maigi von den Stiefeln befreite. »Jemand ist getötet worden«, sagte er gereizt. »Wissen Sie das eigentlich?«
Maigi kniete vor ihm auf dem Teppich und wärmte Brens Füße, indem er sie kräftig massierte. »Darum kümmern sich die anderen. Sie sind sehr tüchtig.«
Damit meinte er wohl Banichi und Jago. Sehr tüchtig. Ein Mann war tot. Vielleicht hatte sich damit der Fall erledigt. Vielleicht würde er, Bren, morgen zurückfliegen, wieder am Computer arbeiten und seine Post entgegennehmen können.
Ach nein, die Aiji-Mutter hatte ihn ja zum Frühstück eingeladen. Danach würde er wieder mit ihr ausreiten müssen.
Warum war er von Banichi nicht rechtzeitig gewarnt worden? Der hatte doch offenbar gewußt, daß da jemand auf dem Gelände herumschleicht. Warum hatte er ihm nicht gesagt, daß er sich vor den Touristen in acht nehmen soll?
Aber Jago, die hatte doch was erwähnt, gestern, davon, daß eine Touristengruppe erwartet werde. Verdammt, das war ihm ganz entfallen, weil er sich den Kopf zerbrochen hatte wegen dieser anderen Geschichte.
Den beiden war nichts vorzuwerfen. Im Gegenteil, sie hatten Finesse bewiesen und eine mögliche Katastrophe verhindert. Denn derjenige, der ihm auf der Spur gewesen war, hatte sich, wie es schien, unter die Touristen gemischt. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die Wachen nicht so besonnen gehandelt hätten.
Ihm war kalt. Maigi brachte heißen Tee. Eingemummt in der Decke, kauerte er im Sessel, die Füße vorm Kaminfeuer hochgelegt, während es draußen donnerte und der Regen an die Scheiben trommelte. Das Fenster lag oberhalb der Ringmauer und bot einen freien Ausblick auf den See. Es hörte sich an, als würden kleine Kieselsteine ans Glas geschleudert. Oder Hagelkörner. Erstaunlich, daß es diesem Beschuß standhielt. Das Glas war anscheinend besonders dick, womöglich sogar – weil vom Rand der Ringmauer aus einsehbar – kugelsicher.
Vergangene Nacht hatte Jago verlangt, daß er vom Fenster wegtrete. Algini ließ sich seit einiger Zeit nicht blicken. Die Stromversorgung war immer noch unterbrochen.
Bren saß da und ließ den Vormittag Revue passieren, das Frühstück, den Ausritt mit Ilisidi und Cenedi, die Touristen, wie sie ihm noch von den Bussen aus fröhlich zuwinkten. Er hatte sie, die Kinder wie die Älteren, davon überzeugen können, daß sie keine Angst vor ihm zu haben brauchten. Und dann war jemand vor ihren Augen niedergeschossen worden. Wie im Fernsehen, wie in einem Machimi-Spiel.
Er hatte eine Pistole und wußte damit umzugehen. Er würde sie, wenn es drauf ankäme, auch benutzen, aus Angst und – wie er sich eingestand – weil er so wütend war wie nie zuvor in seinem Leben. Noch immer zitterte er vor Wut, ohne zu wissen, was ihre Ursache war oder wem sie eigentlich galt. Ihm selbst, den Atevi oder irgendwelchen Umständen?
Das war kein falscher Alarm gewesen vergangene Nacht. Wenn doch, müßte man – mit Barbs Worten – von einem wundersamen Zufall sprechen. Es schien allerdings vielmehr so gewesen zu sein, daß Banichi und die anderen einen Assassinen aufgespürt und dann wieder aus den Augen verloren hatten. Daß Ilisidi am Morgen mit dem Paidhi ausgeritten war, hatte die Wachen womöglich hoffen lassen, der Assassine würde ihnen folgen und aus der Deckung kommen.
Zuviel Fernsehen, hatte Banichi gesagt in der Nacht, als Brens Zimmer voller Pulverrauch gewesen und der Regenschauer auf die Terrasse niedergegangen war. Zu viele Machimi-Spiele.
Zuviel Angst in den Gesichtern der Kinder. Allzu viele ausgestreckte Zeigefinger.
Bren wollte, verdammt noch mal, endlich seine Post haben, und seien es nur Kataloge mit Anzeigen und netten Fotos. Doch damit war nicht zu rechnen.
Hanks vermißte ihn womöglich inzwischen, hatte ihn vielleicht schon
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