Atevi 1 - Fremdling
sich, damit jeder an die Reihe kam, bevor, wie an jedem Tag, das Unwetter hereinbrechen würde, dessen Vorboten er von der Anhöhe aus am fernen Seeufer gesehen hatte. Der Mittsommer war hier, wie es schien, Regenzeit; wahrscheinlich kam Tabini deshalb, wenn überhaupt, nur im Herbst nach Malguri.
Strom gab es immer noch nicht. »Ganz wie zu alten Zeiten«, kommentierten die Besucher die kerzenbeleuchtete Düsternis. »So authentisch.«
Ihr müßtet erst mal die Badezimmer sehen, dachte Bren. Er sehnte sich nach einem Wannenbad, aber auf heißes Wasser würde er mindestens eine halbe Stunde warten müssen. Ihm war unbehaglich zumute. Auf dem harten Stuhl sitzen zu müssen, hatte ihm nach dem Ausritt gerade noch gefehlt. Wenn er die Beine streckte, spürte er jeden Muskel einzeln.
Ein kalter, feuchter Windstoß fegte durch die offene Tür und ließ die Kerzenflammen flackern. Siegellack spritzte auf die blankpolierte Tischplatte. Von den Dienern war keiner in erreichbarer Nähe; er hätte selbst aufstehen müssen, um die Türen zu schließen.
Jetzt waren nur noch zwei Touristen zu bedienen, ein älteres Ehepaar, das sich vier Karten wünschte. »Für die Enkelkinder, wenn der Paidhi so gütig wäre.«
»Keine Ursache.«
Die Gruppe der Besucher strebte nach draußen. Ein frischer Wind wehte ins Zimmer und vertrieb – wohltuend – den Geruch von Siegellack.
Er signierte zusätzliche Karten, drückte ihnen samt Band seinen Stempel auf und reichte sie dem alten Herrn, der ihm anvertraute, daß seine Enkel Nadimi, Pari, Tabona und Tigani hießen und daß Tigani gerade ihre ersten Zähne bekomme und daß sein Sohn Fedi ein Landwirt sei aus der Provinz Didaini. »Dürfte ich Sie photographieren?«
Bren stand auf, straffte die Schultern und lächelte in die Kamera, worauf auch andere ihren Apparat zückten, um eine Aufnahme von ihm zu machen. Es freute und ermutigte ihn, daß diese Touristen so zugänglich und aufgeschlossen waren. Selbst die Kinder schienen ihre anfängliche Scheu verloren zu haben. Abgesehen von den Audienzen in Shejidan, hatte er noch nie so engen Kontakt gehabt zu einfachen Leuten. Er geleitete sie in den Hof und zu den wartenden Kleinbussen, betont höflich und zuvorkommend, wie es sich für den Paidhi gehörte. Das alte Ehepaar wich ihm nicht von der Seite und erkundigte sich nach seiner Familie. »Nein, ich bin nicht verheiratet«, antwortete er. »Nein, daran habe ich noch nicht gedacht…«
Barb würde in der klosterhaften Umgebung des Paidhi vor Langeweile und Frustration umkommen. Sie würde ersticken in dem engmaschigen Sicherheitsnetz, das um Shejidan gelegt war – wenn man sie denn überhaupt dort einziehen ließe. Und außerdem… so sehr er sie auch nötig hatte, er liebte sie nicht wirklich.
Ein Junge kam herbeigelaufen, baute sich kerzengerade vor ihm auf und stellte fest: »Ha, ich bin genau so groß wie Sie«. Seine Eltern zerrten ihn weg und meinten, so etwas zu sagen sei sehr insheibi, flegelhaft und gefährlich. Sie entschuldigten sich und baten den Paidhi um die Gefälligkeit, sich mit ihnen ablichten zu lassen.
Nach Ateviart lächelnd, nahm er Aufstellung zwischen den beiden, wartete, bis die Kamera eingestellt und einem Dritten überreicht war, der nur noch den Auslöser zu drücken brauchte.
Andere wollten nicht nachstehen, und im Nu klickten ringsum die Verschlüsse etlicher Fotoapparate.
Plötzlich knallte es dreimal aus dem Hintergrund. Pistolenschüsse, unverkennbar. Bren erstarrte vor Schreck. Jemand packte ihn beim Arm und stieß ihn unsanft durch die Tür zurück ins Haus. Die Touristen schienen davon nichts bemerkt zu haben; sie eilten kreischend unters Vordach, um sich vor dem Regen zu schützen, der gerade mit Macht eingesetzt hatte.
Da krachte es nochmals. Die Touristen johlten.
»Rühren Sie sich nicht von der Stelle!« Es war Tano, der ihn in Deckung gezerrt hatte, wie Bren erst jetzt erkannte. Mit gezogener Pistole rannte sein Diener zurück in den Hof.
Bren riskierte einen vorsichtigen Blick nach draußen und sah neben der alten Kanone einen Mann auf dem Pflaster liegen. Auf dem Rasen dahinter kamen schwarze Gestalten herbeigelaufen, kaum zu erkennen im dichten Regenschauer. Einer der Busfahrer drängte die Touristen zur Eile und erinnerte daran, daß ein Mittagessen am See geplant und noch eine weite Strecke zurückzulegen sei.
Die Touristen stiegen in die Fahrzeuge. Um den Mann am Boden hatte sich eine Gruppe schwarz Uniformierter geschart. Bren
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