Atevi 1 - Fremdling
reichlich frustrierend sein. Als Tischgenosse hatte er sie schlecht vertreten, Jago, die nach Shejidan geflogen war, um der Gilde zu berichten, daß auf den Paidhi erneut ein Anschlag verübt worden war. Über mögliche Motive hatte sich Banichi wahrscheinlich im Verlauf des Abendessen selbst einen Reim gemacht.
Die beiden erreichten die Tür zu Brens Unterkunft. Er holte den Schlüssel aus der Tasche, doch Jago kam ihm mit dem Zweitschlüssel zuvor und ließ ihn ins Empfangszimmer treten.
»Warum so düster, nand’ Paidhi?« fragte sie und musterte ihn mit skeptischem Blick.
»Wegen gestern. Da sind Worte gefallen, für die ich mich schäme. Wenn Sie Banichi bitte ausrichten würden, daß es mir leid tut…«
»Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf«, sagte sie, machte die Tür hinter sich zu und zog die Aktenmappe unter dem Arm hervor. »Hier. Das wird Sie aufmuntern. Ich habe Ihre Post mitgebracht.«
Damit hatte er nicht mehr gerechnet. Er hatte sich damit abgefunden, aus vermeintlichen Sicherheitsgründen isoliert zu sein. Und nun warf Jago all seinen Argwohn über den Haufen.
Er nahm das Bündel entgegen, das sie ihm reichte, und suchte sofort hastig nach persönlichen Briefen. Es waren hauptsächlich Kataloge, wenn auch nicht halb so viele wie normalerweise; dazwischen drei Briefe, jeweils einer von den Vorsitzenden der Ausschüsse für Landwirtschaft und Finanzen – der dritte trug das Siegel Tabinis. Von Mospheira war keiner dabei.
Weder von Barb noch von seiner Mutter. Keine Nachricht aus dem Büro, kein ›Wie geht es Dir?‹ und ›Lebst Du noch?‹. Das, was er da in den Händen hielt, konnte doch nicht die ganze Post sein…
Bestimmt wußte Jago, welche Briefe man ihm vorenthielt. Sollte er sie zur Rede stellen? Sie schaute ihn abwartend an, wahrscheinlich neugierig darauf zu erfahren, was in Tabinis Brief zu lesen stand.
Oder wußte sie auch darüber Bescheid?
Er wagte nicht zu fragen, weil er die Antworten fürchtete. Gleichzeitig machte ihm die Ahnungslosigkeit angst und seine Unfähigkeit, das Schweigen um ihn herum zu deuten.
Mit dem Daumennagel brach er Tabinis Siegel auf, inständig hoffend, daß das Schreiben eine Erklärung enthielt, die nicht einem Desaster gleichkam.
Tabinis Handschrift – schwer zu entziffern. Die übliche Anrede unter Aufzählung sämtlicher Titel. Dann, mit kalligraphischem Schwung: Ich hoffe, Sie erfreuen sich guter Gesundheit und der Ressourcen an Sonne und Wasser, die Malguri bereithält.
Verbindlichen Dank, dachte Bren säuerlich; jedenfalls ist zu dieser Jahreszeit kein Regenmangel zu beklagen. Er lehnte das schmerzende Hinterteil an die Tischkante und las. Jago übte sich in Geduld.
Jetzt erklärte sich, warum die Fernsehleute aufgekreuzt waren… damit das Publikum weltweit, dessen Menschenbild geprägt ist von Machimi, einen neuen, echten Eindruck von der äußerlichen Erscheinung und den Gedanken eines Menschen gewinnt, wäre es gut, wenn Sie sich diesem Interview stellen. Ich halte das für eine sinnvolle Sache und bin zuversichtlich, daß Sie das Beste daraus machen. Bitte, sprechen sie so offen ins Mikrophon wie mit mir.
»Nadi Jago. Wissen Sie, was hierdrin steht?«
»Nein, Bren-ji. Gibt’s irgendein Problem?«
»Tabini hat dieses Fernsehteam geschickt.«
»Daß wir davon nicht unterrichtet wurden, überrascht mich. Sei’s drum, die Leute werden mit Sicherheit akkreditiert sein.«
Für Ihre Person in der Öffentlichkeit zu werben ist nach meinem Dafürhalten die wirksamste Maßnahme im Kampf gegen unsere Feinde, die Sie, den Paidhi, genötigt haben, Ihre Amtsgeschäfte vorübergehend einzustellen und die Stadt zu verlassen. Ich habe persönlich mit dem Leiter der Nachrichtenredaktion der nationalen Fernsehanstalt gesprochen und veranlaßt, daß ein Team aus hochangesehenen Journalisten nach Malguri reist, um Sie zu interviewen. Mit mir hofft insbesondere auch der Minister für Erziehung, daß dies der Einstieg ist zu einer monatlich stattfindenden Nachrichtenkonferenz…
»Er will, daß ich am Nachrichtenprogramm mitwirke. Wußten Sie das?«
»Nein, Nadi-ji. Aber ich bin mir sicher, daß Tabini-Aiji die Leute, die das Interview mit Ihnen führen, handverlesen hat.«
»Handverlesen.« Er überflog den Brief, gefaßt auf weitere Überraschungen. Doch mehr kam nicht, und zum Schluß hieß es: Ich weiß, das Wetter ist zur Zeit nicht sonderlich gut, hoffe aber, daß sie angenehme Ablenkung finden, sei es in der Bibliothek oder in
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