Atevi 1 - Fremdling
drängte es zu ihren Futterkrippen. Es gelang ihm, Nokhada zu Boden zu zwingen und aus dem Sattel zu steigen, und als er wieder festen Boden unter den Füßen spürte, drohten seine Beine unter der Last seines Körpers einzuknicken.
»Nehmen Sie ein heißen Bad«, riet Ilisidi. »Ich werde Ihnen ein paar Kräuter bringen lassen, nand’ Paidhi. Wir sehen uns dann morgen wieder.«
Er verbeugte sich und kehrte unter Ilisidis Gefolge ins Haus zurück, bemüht, nicht allzu auffällig zu humpeln.
»In vier oder fünf Tagen«, versicherte Cenedi, »ist der Muskelkater weg.«
Ein heißes Bad; er dachte an nichts anderes, als er den langen Weg zur Eingangshalle zurücklegte. Ein heißes Bad, für eine ganze Stunde. Und dann in einen weichen Sessel, der sich nicht vom Fleck rührt; in der Sonne sitzen und lesen. Nur keine Anstrengung mehr. langsam und mit beiden Händen am Geländer schleppte er sich über die Treppe nach oben, als er eilige Schritte auf den Steinfliesen der Halle hörte. Er schaute sich um und sah Jago auf die Treppe zusteuern, voller Energie und besorgt, wie es schien. »Bren-ji«, rief sie ihm zu. »Was ist los mit Ihnen?«
Offenbar verriet sein Äußeres, wie er sich fühlte. Der Zopf hatte sich aufgelöst; an seinen Kleider klebten Staub, Haare und Nokhadas Geifer. »Was soll schon sein, Nadi-ji? Wie war der Flug?«
»Lang.« Sie nahm zwei Stufen mit einem Schritt und hatte ihn bald eingeholt. »Sind Sie gestürzt, Bren-ji? Sie sind doch nicht etwa…«
»Nein, Muskelkater. Nicht der Rede wert.« Er biß die Zähne zusammen und überspielte seine Schwäche. Jago wich ihm nicht von der Seite. Sie duftete nach Blumen, was Bren noch verlegener machte, naßgeschwitzt, wie er war. Atevi rümpften die Nase über den Geruch von Menschenschweiß; darauf war schon in der Paidhi-Schule nachdrücklich hingewiesen worden. So diskret wie möglich versuchte er deshalb auf Abstand zu gehen. Dabei war er so froh, sie wieder in seiner Nähe zu wissen. Gestern hatte er sie noch schmerzlich vermißt. »Wo ist Banichi? Ich habe ihn seit gestern nicht gesehen.«
»Vor einer halben Stunde war er unten am Flughafen«, antwortete Jago. »Er hat sich mit Leuten vom Fernsehen unterhalten. Ich glaube, sie kommen hierher.«
»Warum?«
»Keine Ahnung, Nadi. Sie sind mit dem Flugzeug angereist. Vielleicht wegen des versuchten Mordanschlags. Sie haben nichts gesagt.«
Das geht dich nichts an, übersetzte Bren im stillen; Banichi wird sich um diese Leute kümmern und sie wahrscheinlich wieder zurückschicken.
»Sonst gab es keine Probleme?«
»Nur mit Banichi.«
»Wieso?«
»Er ist wohl unzufrieden mit mir. Vielleicht habe ich was Falsches gesagt oder getan. Ich weiß nicht.«
»Es war bestimmt nicht leicht für ihn, den Toten in Schande auszuliefern. Es war ein Mann aus seiner Verbindung. Seien Sie nachsichtig, nand’ Paidhi. Es gibt Dinge, die Sie nicht verstehen und für Ihr Amt auch nicht verstehen müssen.«
»Das ist mir längst klar«, entgegnete er und bedauerte im nachhinein, daß er beim Abendessen mit Banichi nur auf das eigene Unbehagen fixiert gewesen war und dessen Kummer nicht zur Kenntnis genommen hatte. Vielleicht war Banichi mit einer bestimmten Hoffnung zu ihm gekommen, die aber unerfüllt blieb, was zu dieser Mißstimmung führte, mit der sie sich verabschiedet hatten. »Ich fürchte, ich habe mich gestern abend ziemlich schofel verhalten, Nadi. Banichi hat allen Grund, über mich verärgert zu sein. Vielleicht können Sie schlichten.«
»Sie stehen nicht in seiner Pflicht, Bren-ji. Und wie dem auch sei, ich glaube kaum, daß er Anstoß genommen hat. Rechnen Sie es als ein Kompliment an, wenn er Ihnen gegenüber seinen Kummer hat durchblicken lassen.«
Kaum zu glauben. Bren kramte in seiner Erinnerung nach Hinweisen und Aussagen, die es zu überdenken und eventuell neu zu deuten galt. Ob Banichi ihn nach allem womöglich doch mochte, gern hatte?
Doch die Vernunft rief ihn zurück. Spekulationen über menschenähnliche Regungen auf Seiten der Atevi ergaben keinen Sinn. Jago war beim Wort zu nehmen, Punkt, aus. Banichi hatte sich verständlicherweise anmerken lassen, daß ihm der schmachvolle Tod eines Berufskollegen naheging, aber weder er noch Jago würden, nur weil sie mit einem gelangweilten Menschen eingesperrt waren, auf menschliche Gefühlsduselei verfallen. Dagegen waren sie immun, und daß er, Bren dennoch ständig darauf lauerte und andere Signale übersah, mußte für sein Gegenüber
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