Atevi 1 - Fremdling
Schale Getreideflocken und zwei Kuchenstücke mit süßem Öl. Bren begnügte sich mit Getreideflocken und einem Brötchen. Der harte Stuhl, auf dem er saß, machte ihm und seinem schmerzenden Hinterteil so sehr zu schaffen, daß er entschlossen war, eher von Ilisidis Tee zu trinken, als noch einmal auf Nokhada auszureiten.
Doch die Alte nahm seine zaghaften Proteste überhaupt nicht zur Kenntnis, und so mußte er ihr folgen hinunter zu den Ställen, während ein scharfer Wind vom See herbeifegte und kalt durch Jacke und Pullover drang.
Immerhin ging Nokhada diesmal willfährig in die Knie, um ihn aufsitzen zu lassen, und ehe sie sich ruckartig wieder aufrichtete, hatte er an den Sattelringen festen Halt gefunden.
Oje, diese Qual, ausgerechnet an den für Männer besonders empfindlichen Stellen. Er hoffte auf die Gnade einer raschen Betäubung und erinnerte sich, daß auch die Menschen vor Urzeiten häufig zu Pferde gesessen und sich dennoch hatten fortpflanzen können.
Nokhada versuchte wie am Vortag, mit ihm im Kreis herumzuwirbeln. Doch jetzt setzte er sich entschlossen durch und nahm sie fest an die Kandare in der Absicht, ihr seinen Willen aufzuzwingen. Doch als Ilisidi auf Babs zum Tor hinauspreschte, gab es auch für Nokhada kein Halten mehr. Im Wettstreit mit Cenedis Mecheita um die zweite Position hinter Babs rannte sie drauflos, den Hügel hinauf und mit weitem Satz über jenen Felsvorsprung hinweg, vor dem er gestern fast abgeworfen worden wäre, weil er in seiner Panik an den Zügeln gezerrt hatte.
Doch dahinter drohte kein Abgrund, wie zuvor befürchtet. Es führte statt dessen ein steil abschüssiger Pfad hinab auf eine flache terrassenförmige Landzunge über dem See. Interessant, daß Ilisidi am Vortag einen anderen Weg gewählt und nicht riskiert hatte, mit ihm, dem blutigen Anfänger im Sattel, über die Klippe zu springen, sondern auf einfacherem Gelände zur Anhöhe hinauf geritten war. Hätte sie es drauf angelegt, daß er sich den Hals bräche, wäre sie schon beim ersten Mal auf diesen gefährlichen Kurs eingeschwenkt. Vielleicht war die Teevergiftung am Ende doch bloß ein unglücklicher Zufall.
Um den von der Burg aus überschaubaren Bereich möglichst schnell zu verlassen, boten sich zwei Wege an: Den einen hatten sie gestern genommen, den anderen heute. Auf beiden konnte man der Gefahr vor Heckenschützen ausweichen. Oder auch der Beobachtung durch Banichi…
»Warum haben Sie mir gestern verschwiegen, daß ein Anschlag zu befürchten war?« fragte er Cenedi. »Sie wußten von der Gefahr. Banichi hat Sie informiert.«
»Unsere Vorhut war alarmiert«, antwortete Cenedi. »Und Banichi hatte uns ständig im Blick.«
»Nadi, bei allem Respekt, war es nicht sehr unvernünftig, die Aiji-Mutter einer solchen Gefahr auszusetzen?«
»Seien Sie versichert, wir sind kein Risiko eingegangen.« Cenedis Gesichtsausdruck hatte viel mit dem von Banichi gemein. »Für Ihren und Ilisidis Schutz bürgt kein Geringerer als Tabinis Mann.«
Kein Risiko? Cenedis Worte waren als Kompliment an Banichi zu verstehen, aber wohl kaum als ernstzunehmende Aberkennung eines Risikos. Doch dann erinnerte sich Bren an seine Spekulationen über zusätzliche Sicherheitssysteme. In Gedanken versunken, ritt er an Cenedis Seite. Tief unten schwappten Wellen gegen die Felsen. Der Himmel war blau. Plötzlich schoß ein Wi’itkiti dicht an Nokhadas Kopf vorbei. Scheuend bäumte sie sich auf, unmittelbar neben dem Abgrund.
»Verflucht!« rief Bren im ungelenken Kampf mit seinem Mecheita um Kontrolle. Stumm und ausdruckslos schaute Cenedi zu.
Ilisidi ritt voran, ohne ein einziges Mal den Blick zu wenden. Der Pfad führte noch ein Stück am Ufer entlang und wand sich dann auf einen Berg, hinauf zu einer hohen Warte mit schwindelerregender Aussicht. Dort hielt Ilisidi an. Bren gesellte sich zu ihr und hoffte angesichts der erschreckenden Tiefe, Babs möge still halten und Nokhada keinen Anlaß geben auszubrechen.
»Ein herrlicher Tag«, sagte Ilisidi.
»Ein unvergeßliches Panorama«, antwortete er und dachte: Wahrhaftig, das werde ich nie vergessen, auf einem ungestümen Tier am prekären Rand der Steilküste zu sitzen, tief unten und ringsum der See. Unvergleichlich und atemberaubend war alles an Malguri, im positiven Sinne die schöne und geschichtsträchtige Landschaft, weit weniger angenehm die klosterhafte Stille innerhalb der Mauern, die dunklen, klammen Winkel mit ihren stickigen Ölfunzeln…
Ganz zu schweigen
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