Atevi 1 - Fremdling
Gesellschaft meiner hochverehrten Großmutter, der Sie bitte meine besten Wünsche übermitteln wollen…
»Es ist nicht zu fassen. Ich muß unbedingt mit Tabini sprechen. Jago, ich brauche ein Telefon. Sofort.«
»Ich muß Sie enttäuschen, Bren-ji. Hier gibt’s kein Telefon, und ich bin nicht befugt, Sie über unsere…«
»Zum Teufel, Jago!«
»Ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Banichi, kann er mir helfen?«
»Wohl kaum.«
»Na schön. Dann muß das Interview abgeblasen werden.«
Jago war sichtlich irritiert. »Der Paidhi hat doch gelesen. Die Journalisten sind auf Veranlassung des Aiji angereist; es ist dessen persönlicher Wunsch, daß es zu diesem Interview kommt. Dem Paidhi wird bewußt sein, daß er, falls er sich weigern sollte, diese Leute und nicht zuletzt den Hof des Aiji in große Verlegenheit bringt.«
»Ich kann nicht vor die Kamera treten, ohne vorher mit meinem Büro auf Mospheira Rücksprache genommen zu haben, ganz zu schweigen davon, daß es mir nicht gefällt, dermaßen überrumpelt zu werden. Ich will sofort telefonieren!«
»Haben Sie nicht behauptet, daß Ihr Man’chi Tabini gilt?«
Natürlich, dieser Hinweis mußte kommen.
»Was unter anderem auch umfaßt, daß ich ihm meine Meinung sage und daß ich meine Autorität als Paidhi den eigenen Leuten gegenüber nicht aufs Spiel setze. Mein Man’chi gebietet mir, Rücksprache zu nehmen. Ich hoffe, Sie haben ein Einsehen, denn zwingen kann ich Sie nicht.«
Geschickt zu lavieren gehörte zu seinem Geschäft. Doch es war leichter, die Schwerkraft außer Kraft zu setzen, als Jagos Man’chi-Begriff zu erschüttern.
»Wenden Sie sich an Banichi«, entgegnete sie gelassen. »Aber ich bezweifle, daß er Ihnen weiterhelfen kann. Wenn Sie es wünschen, mache ich mich gleich auf den Weg zum Flughafen und berichte Banichi von Ihren Einwänden. Vielleicht läßt sich noch was in Ihrem Sinne arrangieren. Aber es kommt nicht in Frage, daß die Sache abgeblasen wird. Stellen Sie sich vor, wie Tabini dastehen würde…«
»Mir ist schlecht. Das muß am Tee liegen.«
»Bitte, Nadi, machen Sie keine Scherze.«
»Ich bin auf dieses Interview nicht vorbereitet.«
»Ihre Weigerung würde sich sehr unvorteilhaft auswirken. Sie werden doch verstehen…«
»Ich kann darüber nicht eigenmächtig entscheiden, Jago; diese Sache ist von politisch weitreichender Konsequenz.«
»So oder so. Machen Sie doch wenigstens der Form halber mit, Bren-ji. Das Interview wird nicht direkt aus gestrahlt. Falls es zu Problemen kommen sollte, bleibt immer noch Zeit für Korrekturen. Denken Sie daran: Tabini hat diese Journalisten ausgesucht. Das sind Leute mit Fingerspitzengefühl, die sehr vorsichtig sein werden, zumal ihr eigener Ruf auf dem Spiel steht.«
Jago wußte selbst geschickt zu argumentieren, wenn Man’chi oder Pflichterfüllung zur Debatte standen, Fragen, die in ihrem Beruf über nicht weniger als Leben und Tod entschieden.
»Darf ich mal den Brief sehen, Bren-ji?«
Er reichte ihr das Schreiben. Jago trat ans Fenster nicht um besser, sondern um ungestört lesen zu können.
»Tabini-Aiji empfiehlt, daß Sie diesen Leuten offen gegenübertreten und kein Blatt vor den Mund nehmen. Ich kann mir vorstellen, warum er einen solchen Rat er teilt. Für den Fall, daß Sie in Schwierigkeiten geraten wäre es günstig, das Wohlwollen der Öffentlichkeit zu haben.«
»Schwierigkeiten?«
»Um Sie zu schützen, mußten wir ein Atevileben opfern.«
Bren hörte, was er zu hören fürchtete, einen unentrinnbaren Vorwurf gegen ihn als Menschen.
»Ein Atevileben.«
»Wie gesagt, um Sie zu schützen, wie es unser Man’chi verlangt. Doch viele werden dafür kein Verständnis aufbringen.«
»Und was ist Ihre Meinung?« Er mußte sie das fragen.
Jago ließ mit der Antwort auf sich warten. Sie faltete seelenruhig den Brief und sagte dann: »Ich verlasse mich auf das Urteil des Aiji. Überlassen Sie mir den Brief, damit ich ihn zu den Akten legen kann?«
»Natürlich.« Er wehrte sich gegen das Gefühl der Kränkung. Was erwartest du? fragte er sich, und dann: Wie soll ich mich verhalten ohne Rücksprache mit Mospheira? Was werden sie mich fragen, und was kann ich antworten?
Jago steckte den Brief ein und ging durch sein Schlafzimmer in ihr Quartier, ohne seine Frage nach ihrer Meinung beantwortet oder auch nur mit einem einzigen Wort darauf angespielt zu haben, daß auch sie persönlich in Schwierigkeiten geraten könnte.
Gestern hatte er Banichi brüskiert, heute
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