Atevi 1 - Fremdling
deuteln.
»Warum gehen Sie nicht nach oben, nand’ Paidhi? Ziehen Sie sich was anderes an und versuchen Sie sich zu entspannen.«
Auf Entspannung war heute kaum zu hoffen, aber der Kragen kratzte, und vom langen Stillsitzen waren sämtliche Gelenke steif geworden. Keine schlechte Idee, nach oben zu gehen und die Sachen zu wechseln. Mehr blieb ihm ohnehin nicht zu tun.
Nicht nur aus Höflichkeit, sondern weil es ihm ein echtes Anliegen war, sagte er: »Ich habe mich gestern abend ziemlich schlecht benommen, verzeihen Sie mir, Banichi.«
»Mir ist nichts dergleichen aufgefallen«, antwortete Banichi. Er achtete kaum auf Bren und beobachtete den Wagen, der sich in Bewegung gesetzt hatte.
»Daß ein Mann aus Ihrer Verbindung dran glauben mußte, tut mir leid. Besonders auch für Ihre Ausbilder.«
»Dafür können Sie nichts. Ein bedauerlicher Vorfall.« Banichi legte ihm die Hand auf die Schulter. »Gehen Sie nach oben, Nadi.«
Deutlicher gesagt: Gehen Sie mir nicht länger auf die Nerven. Banichi war mit seinen Gedanken woanders und wollte in Ruhe gelassen werden, wofür Bren vollstes Verständnis hatte. Auch er wollte Ruhe haben und ungestört das unterbrochene Bad fortsetzen. In der Wanne würde sich endlich abschalten lassen.
Es dauerte eine Weile, bis der Boiler das Wasser aufgeheizt hatte und die Wanne gefüllt war. Ihm blieb genügend Zeit, einen Imbiß zu sich zu nehmen und einen der beiden anderen Briefe zu lesen, die Jago gebracht hatte. Spontan stellte sich der Wunsch ein, Notizen in den Computer zu tippen. Interessant, wie schnell der Verstand in gewohntes Fahrwasser zurücktreibt.
Aber Verlängerungskabel und Strom aus der Küche gab es für den Paidhi nicht; Ausnahmen wurden nur für Kameraleute gemacht.
Er tauchte in das dampfende Bad ein und lehnte den Kopf an den Wannenrand, auf dem ein Glas Weinbrand abgestellt war, in der Qualität durchaus vergleichbar mit entsprechenden Erzeugnissen aus Mospheira. Und dann lagen da noch der Reisekatalog und ein Prospekt für Sportgeräte, in denen er nicht nach irgendwelchen konkreten Angeboten suchte, sondern einfach nur nach Wunschanregungen.
Es hatte wieder zu Donnern angefangen, und er fragte sich müßig, ob die Linienmaschine bei diesem Wetter wohl planmäßig starten würde. Hoffentlich. Er wollte, daß die Fernsehleute verschwanden. Wieso waren eigentlich Tano und Algini mit nach Maidingi gefahren? Zum Vergnügen? War ihnen zu wünschen, daß sie nicht naß wurden.
Er nahm einen Schluck aus dem Glas, an dem Kondenstropfen perlten. Eis in gutem Weinbrand? Bren erinnerte sich, wie entsetzt Tabini darüber gewesen war.
Auf seinen Sonderwunsch hin hatte Djinana die Stirn gerunzelt, sich aber jeden weiteren Kommentar erspart. Zum Glück gab es Eis, jetzt, da der Strom wieder floß und die Lampen brannten.
Er blätterte durch die Werbebroschüre und las einen Artikel über die Skistation auf Mt. Allan Thomas, der ersten Einrichtung dieser Art auf Mospheira, die der fast vergessenen Sportart einen neuen Aufschwung beschert hatte.
Auch die Atevi zeigten in jüngster Zeit gesteigertes Interesse am Skifahren. Tabini hatte darüber nur den Kopf schütteln können, wurde dann aber selbst neugierig, als der Paidhi mit Erlaubnis der Kommission die neuen, auf Mospheira hergestellten Steigfelle nach Shejidan einführte.
Eine sportliche Leidenschaft, die Atevi und Menschen gleichermaßen teilten, konnte für die Beziehungen untereinander nur von Vorteil sein.
Fast hätte sich Tabini zu einem Versuch auf Brettern überreden lassen, wenn nicht die verdammte Krise dazwischen gekommen wäre. Aber was nicht ist, kann ja noch werden, dachte Bren. Im Bergid, nur eine Stunde von Shejidan entfernt, gab es gute Abfahrten, auf denen, wie Tabini zu sagen pflegte, Verrückte Hals und Kragen riskierten.
Das Interview machte ihm immer noch zu schaffen. Die Kameras und das grelle Licht… er hatte sich nicht richtig konzentrieren können und sich womöglich mißverständlich ausgedrückt, irritiert auch durch die ausdruckslose Miene des Interviewers, von dem nicht die geringste Rückmeldung gekommen war.
Ein heftiger Donnerschlag. Das Lampenlicht flackerte und ging aus.
Unglaublich. Er starrte unter die dunkle Decke. Tatsächlich, die Glühbirne gab keinen Schimmer mehr von sich.
Nein, nicht schon wieder! Er stieg aus der Wanne, nahm den Kandelaber vom Tisch, entzündete den Docht an der Boilerflamme und steckte damit die Kerzen an der Wand an. Durch den Flur
Weitere Kostenlose Bücher