Atevi 1 - Fremdling
draußen hallten die Rufe der Diener, keine aufgeregten Stimmen, bis auf die des Kochs vielleicht, der am ehesten Grund hatte, verärgert zu sein.
Er stieg zurück ins warme Wasser, gelassen aus Erfahrung: Der Paidhi hatte gelernt, daß die Welt nicht aufhört sich zu drehen, wenn die Elektrizität versagt. Er nippte am eisgekühlten Drink und kehrte zurück zu den Empfehlungen von Sicherheitsbindungen für Skier, die in den Farben schwarz, weiß und grün zur Auswahl standen.
Eilige Schritte näherten sich der Tür, und als er aufblickte, traf ihn der Strahl einer Taschenlampe im Gesicht.
»Bren-ji?« Es war die Stimme von Jago. »Schon wieder Stromausfall. Im ganzen Haus. Es tut uns leid. Ist sonst mit Ihnen alles in Ordnung?«
»Danke der Nachfrage, mir geht’s prima«, antwortete er. »Ist etwa das neue, gerade erst installierte Aggregat auch schon wieder kaputt? Wie ist so was möglich?«
»Keine Ahnung. Wir tappen buchstäblich im dunkeln. Der erste Stromausfall ist vermutlich vorsätzlich herbeigeführt worden. Was jetzt passiert ist, muß noch untersucht werden. Bleiben Sie bitte solange in Ihren Räumen.«
Vorbei war’s mit dem Gefühl von Sicherheit. Der Gedanke, daß jetzt, da er in der Wanne saß, womöglich ein Eindringling durch die Flure schlich, brachte Bren auf Trab. »Ich zieh mich schnell an.«
»Nicht nötig. Sie können ruhig in der Wanne bleiben. Ich werde schon aufpassen.«
»Wär mir aber lieber. Ich wollte sowieso ein bißchen lesen.«
»Na schön. Ich bin dann im Empfangszimmer. Djinana wird gleich hier sein.«
Jago ging. Er stieg aus dem Wasser und zog sich bei Kerzenlicht an. Im Schlaf- und Eßzimmer hatte schon jemand die Öllampen angesteckt.
Dicke Regentropfen klatschten gegen die Fensterscheiben. Er empfand Mitleid mit Banichi, der wahrscheinlich wieder nach draußen mußte, um Ermittlungen aufzunehmen. Wie war es bloß möglich, mit einem simulierten Blitzstrahl einen Transformator zu zerstören?
Bren ging ins Empfangszimmer und sah Jago vorm Fenster stehen. Im düster grauen Licht waren nur ihre Umrisse zu erkennen. Sie starrte auf den See hinaus oder in den konturlosen Himmel.
»Die werden’s doch nicht ein zweites Mal auf die gleiche Weise versuchen«, sagte Bren. »So verrückt kann doch niemand sein.«
Jago schaute ihn an und lachte kurz auf. »Wär’s nicht vielleicht sogar clever? Auf jeden Fall werden sie unsere Erwartungen mit ins Kalkül ziehen.«
»Sie?«
»Oder er oder sie. Wir versuchen’s rauszufinden, Nadi.«
Nerven Sie mich nicht, sollte das heißen. Er stellte sich neben Jago und blickte nach draußen. Ins Leere.
»Sie wollten doch lesen«, sagte Jago.
Als hätte er ausgerechnet jetzt noch Muße dazu. Im Ungewissen zu sein behagte ihm nicht. Es gefiel ihm nicht, daß stumme Wachposten in seinem Empfangszimmer herumlungerten und daß es womöglich einen triftigen Grund dafür gab – in Gestalt eines Meuchlers, der sich gerade Zugang zur Burg zu verschaffen versuchte.
Lies doch! Er wollte ein Fenster, vor dem mehr zu sehen war als graues Einerlei.
Nein, ausgeschlossen, dazu war er viel zu nervös.
»Nadi Bren. Gehen Sie vom Fenster weg.«
Das mußte er sich nun schon zum wiederholten Mal sagen lassen. Kopfschüttelnd trat er zur Seite.
Jago musterte ihn mit besorgter Miene. Wie jemand, der auf ein kleines Kind aufpassen muß, das nicht hören will, dachte er. »Entschuldigung«, sagte er.
»Sie wollen doch dem, der es auf Sie angelegt hat, keinen Gefallen tun, oder?« sagte sie. »Nehmen Sie Platz. Entspannen Sie sich.«
Ein Assassine der Gilde, hatte Banichi gesagt. Einer, den er gekannt, mit dem er verkehrt hatte.
Doch offen blieb die Frage, warum der über alle Regeln seiner Zunft hinweggegangen war.
»Jago, wie kommt man an eine Lizenz?«
»Wofür?«
»Sie wissen schon. Die Gilde.« Ihm war klar, daß er ein verfängliches Thema anschnitt und Jago in Verlegenheit damit bringen könnte.
»Wie man deren Mitglied wird? Durch geheime Wahl und Ernennung.«
Das wollte er nicht wissen. Ihn interessierte vielmehr, was eine vernünftige Person bewegt, eine solche Laufbahn einzuschlagen. Jago schien ihm nicht der Typ dafür zu sein.
»Warum fragen Sie, Bren-ji?«
»Ich mache mir so meine Gedanken – über die Art von Person, die mir nachstellt.«
Jago reagierte nicht. Sie schaute unverwandt durchs Fenster. Auf eine Kulisse aus strömendem Regen.
»Sie irren, wenn Sie glauben, daß die Mitglieder der Gilde von ein und demselben Schlag
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