Atevi 1 - Fremdling
sind.«
Er wandte sich ab, schaute durchs Zimmer auf der Suche nach Ablenkung. »Sind sich alle Paidhiin gleich?« konterte sie. Gute Frage. Darüber hatte er selbst schon oft nachgedacht, war aber nie zu einer Antwort gekommen. Er konnte sich nicht erinnern, wann dieser Berufswunsch zum ersten Mal bei ihm aufgekommen war oder ob er sich jemals ernstlich darüber Rechenschaft abgelegt hatte.
»Als Narren vielleicht.«
»Kaum zu glauben. Sie glauben also, daß man ein Narr sein muß, um Paidhi zu werden.« »Kann schon sein.«
»Aber was bestätigt den Narren in seinem Amt als Paidhi?«
»Neugierde. Der Wunsch, über den Tellerrand von Mospheira hinauszublicken und die Nachbarn kennenzulernen.«
»Das trifft auch auf Wilson zu?« Ins Schwarze getroffen. Was ließ sich darauf sagen? »Sie haben mit Wilson-Paidhi nicht viel gemein«, sagte Jago.
»Tabini ist schließlich auch ein ganz anderer als Valasi-Aiji«, entgegnete er. »Sehr wahr.«
»Jago, ich…« Er war wieder in Versuchung, jenes Wort zu gebrauchen, das in der Sprache und im Denken der Atevi nur Sinn machte im Zusammenhang mit Süßspeisen. Er schüttelte den Kopf und ging auf die Tür zum Kaminzimmer zu. »Ich höre, Bren-ji.«
Er hatte keine Lust zu reden, zumal er an seiner Selbstbeherrschung zweifelte. Doch Jago wartete.
»Jago-ji, ich habe immer nach Kräften versucht, meine Sache gut zu machen. Aber jetzt weiß ich nicht mehr weiter. Ich stecke in der Klemme und frage mich, inwieweit ich selbst schuld daran bin. Habe ich mich zu weit oder zu schnell vorgewagt und dem Aiji geschadet statt zu helfen, wie es meine Absicht ist? Wie kommt’s, daß jemand so versessen darauf ist, mich zu töten? Warum, Jago? Fällt Ihnen dazu etwas ein, und sei es noch so vage?«
»Sie bringen Veränderung«, sagte Jago. »Und das macht manchen angst.«
»Ist es die verdammte Eisenbahn?« Dieses Thema hatte auch in diesem Interview eine für seinen Geschmack viel zu große Rolle gespielt. Jago blieb stumm, ein Schatten, ausdruckslos und unerreichbar. Frustriert winkte er mit der Hand ab und ging weiter auf die Tür zu, um Abstand zu gewinnen, zu lesen, Ruhe zu finden, wenigstens bis zum Abendessen, wozu ihm Jago oder Banichi womöglich Gesellschaft leisten würde, vorausgesetzt, der Koch blieb verschont von einem Giftanschlag.
Aber um nicht unhöflich zu erscheinen, machte er an der Tür kehrt und sagte: »Wenn es denn tatsächlich einmal möglich sein sollte, mit einem Fernsehteam nach Mospheira einzureisen, werde ich Sie und Banichi bitten, mitzukommen und meine Familie zu besuchen. Es liegt mir viel daran, Ihnen zeigen zu können, wer wir sind und wie wir leben. Ich möchte, daß Sie uns besser kennenlernen, Nadi-ji.«
»Es wäre mir eine Ehre«, antwortete Jago.
Damit war jetzt wieder für bessere Stimmung gesorgt. Erleichtert ging er ins Kaminzimmer und legte ein paar Holzscheite ins Feuer, während draußen Donner grollend von den Burgmauern widerhallte. Jago war ihm gefolgt. Anscheinend glaubte sie, daß er das von ihr erwartet hatte. Wortlos trat sie vor das Bücherregal und studierte den Bestand an Lektüre.
Sie tat nur ihre Pflicht. Konversation gehörte nicht unbedingt dazu. Also nahm er sein Buch zur Hand und setzte sich in den Sessel.
Plötzlich ging das Licht wieder an.
Verwundert schaute er zur Deckenlampe auf. »Es war wohl bloß die Sicherung«, bemerkte Jago. »Na bitte.«
Bren dachte an die verstaubten, spröden Stromkabel, die ungeschützt neben den Gasleitungen unter der Decke im Flur verlegt worden waren. »Die Installationen auf Malguri müßten dringend erneuert werden«, sagte er. »Wo steht eigentlich der Gasbehälter?«
»Für welches Gas?«
»Methan.«
»Im Keller«, sagte Jago.
»Dann sitzen wir ja hier auf einer Bombe. Warum hat man statt der Gasbrenner nicht längst eine Elektroheizung eingebaut? Strom gibt’s doch.«
»Das dürfte wohl eine Frage des Geldes sein«, antwortete Jago.
»Alles ist auf der Hut vor einem Eindringling. Hat man denn auch den Gaskessel im Auge?«
»Hier wird alles bewacht, jeder Zugang, jeder Winkel.«
»Aber nur solange Strom fließt. Wenn der ausfällt, ist’s zum Beispiel mit der Fenstersicherung vorbei. Davon habe ich mich gestern überzeugen können.«
Jago runzelte die Stirn und fuhr mit dem Finger an der Fensterlaibung entlang. Was sie zu ertasten versuchte, blieb ihr Geheimnis.
»Wie haben Sie sich davon überzeugen können, Bren-ji?«
»Ich habe das Fenster geöffnet. Dann war
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