Atevi 1 - Fremdling
trachteten. Die Kinder, die sie zuerst entdeckt hatten, waren unbehelligt und ohne verfolgt worden zu sein in ihr Dorf zurückgekehrt, so auch diejenigen, die die Blütenblätter vom Himmel hatten segeln sehen.
Vielleicht waren die Maschinen in Wirklichkeit dumm, ohne Sinn und Verstand. Wie töricht, vor ihnen davonzulaufen, dachte Manadgi.
Er war froh, daß ihn niemand beobachten konnte, wie er im Dunklen dahockte und zitterte – und das nicht etwa vor Kälte.
Sollte er dem Aiji und seinem Hof berichten, daß er nur einen flüchtigen Blick riskiert und sich sogleich wieder aus dem Staub gemacht hatte? Der Aiji vertraute seinem Geschick als Beobachter und Unterhändler. Es müßte ihm doch wenigstens möglich sein festzustellen, wie groß die Anzahl der Fremden war. Über eine solche Information ließ sich im Hasdrawad diskutieren, und der Aiji könnte entscheiden, was zu unternehmen sei.
Manadgi wagte es nicht, mit einem Bericht zurückzukehren, der nur aus vagen Vermutungen bestand. Damit würde er Angst schüren und unüberlegte Reaktionen provozieren, womöglich gewaltsame Handlungen, die aus einer möglicherweise eher harmlosen Situation eine ernste Krise entstehen lassen könnten. Er war gekommen in der Absicht, das Mondvolk zu fragen, was es hierher geführt habe. Deren Antwort wollte er denn dem Aiji vortragen. Natürlich war damit zu rechnen, daß er auf Feindseligkeit stoßen und womöglich sogar getötet werden würde. Doch dieses Risiko hatte er bereitwillig auf sich genommen, als ihn der Aiji gebeten hatte, die Fremden aufzusuchen.
Konnte er jetzt unverrichteter Dinge kehrtmachen und, um nicht als Feigling dazustehen, behaupten, die Maschinen hätten ihn bedroht? Seine Aussage hätte Gewicht und möglicherweise Folgen, die nicht wiedergutzumachen waren.
Nein, so konnte er sich nicht verhalten. Der Aiji hielt ihn für geeignet, diese Mission zu erfüllen, und er durfte dessen Vertrauen nicht mißbrauchen. Wichtiger noch war, daß er vor sich selbst bestehen konnte. Er hatte im Augenblick nur wenig, woran er sich aufrichten konnte. Die Nacht war kalt und er durch nichts in seinem Leben hierauf vorbereitet worden.
IV
Der Morgen graute so milchig und fahl wie am ersten Tag, den Ian auf diesem Planeten erlebt hatte. Bald aber kam Farbe hinzu, ein zartes Rosa, auf perlenweiße Wolken getupft. In den Niederungen hingen dünne Nebelschlieren. Wasserdampfgesättigte Luft, die Temperatur am Taupunkt: Kondensation. Wetter. Zuvor hatte es Niederschläge gegeben, und die Feuchtigkeit war vom Boden verdunstet; auch die Pflanzen trugen atmend ihren Teil dazu bei. In den Labors oben in der Raumstation ließen sich solche Vorgänge simulieren. Hübsche Effekte kamen dabei zustande.
Aber von rosafarbenen Wolken hatte man da oben keine Vorstellung. Zu dumm, dachte Ian. Die nachzumachen müßte doch auch noch möglich sein, mit Scheinwerfern und Farbfiltern.
Sieht hübsch aus, hatte Julio von der Barackentür aus gesagt; hübsch und kalt, viel Spaß.
Estevez mit seiner Filtermaske und dem Thermoanzug: ein Spezialist für trophische Systeme, der allergisch war gegen natürliche Umwelteinflüsse. Ein interessanter Fall für die Ärzte.
Estevez duckte sich unter dem hellen Himmel. Gestand er sich ein, Angst zu haben? Würde er umkehren? Allein der Blick aufs Wetter löste Brechreiz bei ihm aus. Allergien, sagte Estevez.
Es blieb ihm nichts anderes übrig als durchzuhalten. Steroide konnten seine Schwierigkeiten auf Dauer nicht lösen, und andere therapeutische Methoden waren nicht erprobt, weil sich in der Raumstation seit über hundert Jahren keine Immunprobleme eingestellt hatten. In dem kleinen Labor fehlten die Möglichkeiten für gentechnische Maßnahmen, und sie konnten auch keine Musterproben nach oben schicken. Es war außerdem mehr als fraglich, ob sich Gentechnik in Estevez’ Fall und unter den hier herrschenden Bedingungen überhaupt anwenden ließ. Immerhin kam ein bißchen Hoffnung aus dem Archiv; es riet zu einem uralten Verfahren: Findet die allergene Substanz und versucht es mit Desensibilisierung.
Was soll’s? sagte Estevez, schlaflos wegen der vielen Steroide, von Nadeln zerstochen und voller Pflaster als Ergebnis der vielen Experimente, die Botaniker und Zoologen mit ihm veranstalteten. Er ließ alles an sich ausprobieren. Aber einstweilen blieb er auf die Filtermaske angewiesen, und es war zu hoffen, daß er den Mut nicht verlor. Besorgniserregend war, daß er so
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