Atevi 1 - Fremdling
groß, überragte Ian um Kopfeslänge und hatte breite Schultern. Er schien unbewaffnet zu sein. Ian fuhr der Gedanke durch den Kopf, daß der andere womöglich Teile seiner Ausrüstung für Waffen halten könnte. Er wagte es nicht, nach der Sonde zu langen, aus Angst, eine Bewegung zu machen, die falsch gedeutet werden könnte. Er erinnerte sich an erdgeschichtliche Beispiele unbedachter Handlungen, die zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt hatten. Vorsichtig und sein Gegenüber nicht aus dem Auge lassend, griff er in die Brusttasche und schaltete das Taschenradio ein. »Rufe Basis. Habe Kontakt gemacht«, sagte er und musterte das Gesicht des Fremden. »Basis.« Er hielt die Stimme bedeckt, tat so, als spräche er mit sich selbst. »Ich bin’s, Ian. Habe Kontakt gemacht. Bin in Gesellschaft hier draußen.«
Der Einheimische blieb ruhig und gelassen. Aus Sorge, daß eine Antwort vom Basislager aus dem Radio herausplatzen und den anderen irritieren könnte, drehte Ian den Regler in die, wie er hoffte, richtige Richtung nach unten.
»Nil li satha.« So oder ähnlich klang, was der Fremde sagte in leiser und Gott sei dank freundlich tönender Stimme. Er deutete auf das Lager im Tal, wandte sich davon ab und gab Ian zu verstehen, daß er ihm folgen möge.
»Hallo, Basis«, sagte Ian, bemüht, einen unaufgeregten Tonfall anzuschlagen. »Das war soeben seine Stimme. Ich vermute, daß er männlich ist. Sieht so aus. Ein großer Kerl. Gut gekleidet. Unbewaffnet. Bleibt, wo ihr seid. Er macht einen vernünftigen Eindruck auf mich. Er will, daß ich ihm folge. Ich werde die Sperrzone verlassen. Bleibt zurück und meldet euch nicht über Funk.«
Eine kräftige Hand legte sich fest um seinen Arm. Verstört sah er sich nach dem Fremden um. Nie zuvor war er auf so nachdrückliche und einschüchternde Weise angefaßt worden. Die Situation spitzte sich bedrohlich zu, denn mit Blick nach unten sah er seine Freunde herbeirennen. Der Fremde war sichtlich alarmiert. Unbesonnenheit könnte jetzt alle Pläne über den Haufen werfen und lebensbedrohlich werden.
Komm mit, verlangte der Fremde. Am liebsten wäre Ian davongerannt, nach unten ins Lagers, um von dort nach seinen Bedingungen weiterverfahren zu können.
Doch der andere hielt ihn gepackt; er war ihm an Kraft überlegen und drängte den Hang hinauf. Ian wußte sich nicht zu verhalten. Das Radio war noch eingeschaltet. Hoffentlich würden die Freunde jetzt nicht zur Jagd blasen und den Fremden in die Enge treiben. »Basis, es besteht keinerlei Gefahr. Er will nur mit mir reden. Um Himmels willen, pfeift die Leute zurück…«
Wieso kamen ihm die Freunde nachgerannt? Wußten sie etwas, wovon er keine Ahnung hatte? Sie wollten doch nicht etwa Gewalt anwenden. Die wenigen Waffen, die sie hatten, sollten vor wilden Tieren schützen. Unmöglich, sich damit gegen ein organisiertes Volk zur Wehr zu setzen, wenn es zur Verteidigung seines Landes gegen sie, die Eindringlinge, zu Felde ziehen würde. Solange das Shuttle nicht gebaut war, saßen sie hier auf dem Planeten in der Falle, und von der Gilde würde ihnen niemand zur Hilfe kommen. Nein, falls sich die einheimische Bevölkerung entschlösse, sie zu attackieren, wären sie ihr ohnmächtig ausgeliefert.
Von unten brüllte ihnen jemand etwas zu; Ian verstand nicht, was. Der Fremde beschleunigte seine Schritte, fing zu laufen an und zerrte ihn hinter sich her. Er geriet in Atemnot, so schnell ging es den Hang hinauf.
»Bleibt zurück!« keuchte er. »Verdammt noch mal, er tut mir nichts. Warum jagt ihr ihn?«
Er hatte sich längst noch nicht akklimatisiert und bekam keine Luft mehr. Er brachte kein Wort hervor, konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Doch der andere ließ nicht locker und schleifte ihn immer weiter, an Büschen und Felsen vorbei.
Dann knickte er mit dem Fuß um und schürfte sich auf steinigem Grund die Knie auf. Der Fremde hielt seinen Arm so fest umklammert, daß sich das Blut in der Hand staute.
Er blickte zu dem Fremden auf und schnappte nach Luft. Der schaute sich um, ängstlich wie es schien, und hievte Ian gewaltsam vom Boden hoch.
»Nur keine Panik«, sagte er ins Radio. »Ich habe die Lautstärke runtergedreht und kann euch nicht hören. Ich will den Mann nicht nervös machen. Bitte, bleibt zurück!«
Der Einheimische zerrte ihn weiter. Ian bemühte sich, Schritt zu halten. Seine Lungen brannten; die Atemluft schnitt ihm wie ein Messer durch die Kehle. Ihn schwindelte, und er sah nur
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