Atevi 1 - Fremdling
Kapital daraus zu schlagen versuchen. Patton konnte sich darauf jetzt nicht einlassen. Sein Sohn steckte in Schwierigkeiten, unvermeidlichen Schwierigkeiten, mit denen von Anfang an zu rechnen gewesen war; und darauf, daß sie eintreten, hatte dieser verdammte Vordict nur gewartet.
»Es geht wieder los«, sagte Ian mit matter Stimme. »Er will unbedingt weiter. Mir ist kalt, und ich bin außer Puste…«
»Halten Sie ihn hin«, bat Patton seine Sekretärin, und an Joy gerichtet: »Es ist Vordict. Er will sich mit mir unterhalten. Ian kann uns nicht hören. Wie dem auch sei, der, auf den er gestoßen ist, scheint friedfertig zu sein.«
Ian schnappte keuchend nach Luft. Dem Vater drohte das Herz auszusetzen.
»Ich bin gestolpert«, meldete sich Ian nach einer Weile. »War nicht weiter schlimm. Mit mir ist alles in Ordnung. Bitte, unternehmt nichts, was wir später bereuen müßten.«
Patton wünschte, daß sich auch die Gilde Ians Worte zu Herzen nähme.
»Patton«, tönte es aus dem anderen Kanal. »Patton, das haben Sie zu verantworten. Dafür müssen Sie geradestehen. Ihr Sohn ist in Gefahr, und Sie wußten von vornherein, verdammt noch mal, sehr wohl, daß da unten eine Siedlung in der Nähe ist. Trotzdem haben Sie Ihren Kopf durchsetzen müssen. Dafür werden Sie dem Rat Rede und Antwort stehen.«
VI
Bislang verlief alles ohne Komplikationen, ohne Gewalt und Waffenandrohung. Der Mondmann widersetzte sich nicht; im Gegenteil, er war gefügig.
Mit so viel Glück hatte Manadgi gar nicht gerechnet. Es machte ihn skeptisch, daß die Gegenseite, die doch allem Anschein nach so übermächtig war, keinen Versuch unternahm, ihn aufzuhalten.
Der Mondmann selbst machte einen schwächlichen Eindruck. Er war mindestens einen Kopf kleiner und geriet schon bei kleinstem Anstieg außer Atem. Seine ohnehin schon bleiche Hautfarbe war noch bleicher geworden. Er wankte, blieb aber dennoch bemüht, Schritt zu halten.
Vielleicht hatte er ihn in heillose Angst versetzt. Vielleicht waren die Fremden insgesamt von Natur aus nachgiebig und duldsam. Doch dieser vagen Möglichkeit mißtraute er, zumal deren Uhrwerkmaschinen alles andere als harmlos zu sein schienen.
Er ging immer weiter, und der Mondmann taumelte neben ihm her. Ständig brabbelte dieses seltsame Wesen vor sich hin; womöglich war es nicht richtig bei Verstand. Er hatte es vor einem Grasflecken hockend angetroffen und einzelne Halme abzählen sehen, wobei es immer wieder auf verschiedene Knöpfe eines schwarzen Kastens drückte. Vielleicht ergab das irgendeinen Sinn, doch den wußte sich Manadgi nicht zu erklären.
Vielleicht war es verrückt. Möglich auch, daß das gesamte Mondvolk verrückt war – so wie jene Eindringlinge von einst, die Jagd auf die Hirten gemacht, sich aber dann wieder zurückgezogen hatten.
Vielleicht waren die Fremden ein schwaches, friedfertiges Volk, das sich auch dann nicht zur Wehr setzte, wenn einer der ihren verschleppt wurde.
Aber wer hatte diese Uhrwerkmaschinen losgelassen, die das ganze Tal verwüsteten?
Der Mondmann tat sich immer schwerer, auf den Beinen zu bleiben. Schließlich sank er auf die Knie und langte mit beiden Händen in die Seite. »Steh auf!« forderte Manadgi und winkte mit dem Arm.
Der Mondmann wischte sich übers Gesicht. Aus der Nase tropfte Blut; kein Zweifel, es war Blut, so rot wie das eines jeden Atevi. Offenbar war ihm vor Anstrengung ein Aderchen geplatzt.
Er tat ihm leid. Manadgi wollte dem Fremden nicht weh tun, und obwohl diesem Blut übers Gesicht lief, mühte er sich zu tun, was von ihm verlangt wurde.
Manadgi stieß ihn sacht an und gab ihm zu verstehen, daß er sich setzen solle. Darüber schien er froh und erleichtert zu sein. Er beugte sich vor und kniff die Nasenlöcher zusammen. Dann fing er auch noch zu husten an, daß Manadgi fürchtete, er könnte womöglich ersticken.
Manadgi ging in die Hocke und steckte die Hände zwischen die Knie. Hoffentlich, so dachte er, wußte sich dieses Wesen selbst zu helfen. Es machte einen so erbärmlichen und hinfälligen Eindruck, daß Manadgi um sein Leben fürchtete. Er reichte ihm seine Feldflasche; vielleicht half ihm ein Schluck Wasser auf die Beine.
Der Mondmann sah ihn mit leidendem Blick an. Dann zog er den Korken aus der Flasche, träufelte ein bißchen Wasser in die blutige Hand – wahrscheinlich um sicherzustellen, daß es sich tatsächlich um Wasser handelte –, spülte damit das Gesicht, füllte erneut die hohle Hand
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