Atevi 1 - Fremdling
Tabini-Aiji.
Aber es standen doch überall Wachen. Ein gedungener Mörder konnte unmöglich so töricht sein anzunehmen, daß er unentdeckt bleiben würde.
Vielleicht hatte er sich auch nur im Zimmer geirrt. Womöglich wohnte eine wichtige Person im Gästequartier nebenan. Allerdings hatte Bren von einem solchen Besuch nichts gehört. Aber wem hätte sonst wohl das versuchte Attentat gelten können? In diesem Trakt wohnten außer ihm, Bren, nur noch die Gartenaufsicht, die Sekretäre, der Chefkoch und die Rechnungsprüfer; von denen war keiner als gefährdete Person anzusehen.
Banichi hatte ihm seine Pistole gegeben im Austausch gegen die des Aiji. Bren sah inzwischen wieder klarer und verstand: Banichi wollte ihn aus dieser Sache raushalten, um ihn, den Paidhi, in Schutz zu nehmen vor den Ermittlungen und Verhören durch die Sicherheitsabteilung.
Er hoffte inständig, davon verschont zu bleiben, konnte sich auch nicht vorstellen, daß der Chef der Sicherheit irgend etwas gegen ihn in der Hand hatte oder einen Grund, ihn aufs Korn zu nehmen, wo er doch Opfer des Anschlags war. Und es gab keine Veranlassung, Banichis Bericht in Zweifel zu ziehen, zumal Banichi eine Respektsperson war und in gewisser Weise sogar noch höher gestellt als der Chef der Sicherheit.
Aber dennoch… wer mochte Interesse daran haben, in sein Zimmer einzudringen? Brens Gedanken kehrten immer wieder zu dieser Frage zurück. Ebensosehr verstörte es ihn, von Banichi die Pistole zugesteckt bekommen zu haben. Ein gefährlicher Tausch. Womöglich würde er darüber Rechenschaft ablegen müssen. Es war zu befürchten, daß bei einer Durchsuchung seines Zimmers die Waffe gefunden würde. Daß sie Banichi gehörte, ließ sich schnell feststellen. Für den Fall wäre viel Ärger zu erwarten, den vor allem Banichi würde ausbaden müssen. Rechnete er damit? Hatte er seine Waffe zurückgelassen, um letztlich Verantwortung zu übernehmen für etwas, das von ihm zwar nicht gewollt, aber irgendwie verursacht war?
In seine Grübeleien schlich sich sogar Zweifel an Banichis Integrität. Dabei waren er und dessen jüngere Partnerin Jago absolut loyal; sie gehörten zu Tabinis Leibgarde, begleiteten den Aiji auf Schritt und Tritt. Es wäre fraglos ein leichtes für sie, ihm Schaden zuzufügen – und nicht nur ihm –, wenn sie es denn drauf anlegten.
Himmel, nein, diese beiden zu verdächtigen war völlig abwegig. Banichi würde ihn, Bren, nicht hintergehen. Im Gegenteil, er – wie auch Jago – war bereit, für ihn in die Bresche zu springen, wenn auch nicht ausschließlich zu seinen, sondern in erster Linie zu Gunsten des Aiji. Er, Bren, war der Paidhi, der Dolmetscher, und in dieser Funktion für Tabini unerläßlich, Grund genug, ihn zu beschützen. Wenn ihm etwas zustieße, würde Tabini-Aiji persönlich davon betroffen sein und keine Ruhe geben, bis der Fall aufgeklärt wäre.
Und, verdammt noch mal, er wollte nicht, daß die ganze Zitadelle wegen dieses nächtlichen Zwischenfalls in Aufruhr geriet. Er wollte nicht auf sich aufmerksam machen, geschweige denn in irgendwelche Fehden hineingezogen werden. Ein solches Aufsehen würde seiner Stellung unter den Atevi ernstlich schaden, mehr noch: Er hätte hier ausgedient, falls die Sache als Fernsehnachricht an die Öffentlichkeit gelangte und dadurch politische Brisanz bekäme. Es würde ihm unmöglich sein, seine Arbeit fortzusetzen, weil er allenthalben nur noch auf Mißtrauen stieße.
Immer noch fröstelnd versuchte er, seine Gedanken zu ordnen, doch der leere Magen machte ihm zu schaffen, und der Pulvergeruch in der Luft war unerträglich. Er konnte sich vom Nachtpersonal ein Mittel zur Beruhigung der Nerven bringen lassen oder Moni und Taigi, seine persönlichen Dienstboten, rufen. Doch die Ärmsten waren wohl längst aufgescheucht worden und mußten sich verwirrenden Fragen stellen… Haben Sie auf den Paidhi geschossen? War die Tür verriegelt oder nicht?
Die Leute von der Sicherheit knöpften sich wahrscheinlich jeden einzelnen Bediensteten vor. Nicht einer im ganzen Flügel würde jetzt noch schlafen können. Die Schüsse waren bestimmt bis zur Stadt hin hörbar gewesen. Womöglich liefen gerade sämtliche Telefonleitungen heiß; wahrscheinlich würde sogar der Bahnhof abgeriegelt sein und bis auf weiteres kein Zug mehr fahren. All das durfte er sich anrechnen: Er hatte Tabinis Sicherheitssystem in Gang gesetzt, und er wußte um dessen Umfang und Ausmaß.
Er sehnte sich nach heißem Tee
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