Atevi 1 - Fremdling
Schleife im Zopf verzichtete. Ungewöhnlich war nur, daß er von einem Polizisten begleitet wurde.
»Wie sieht der denn aus?« rief ein Kind und zeigte mit dem Finger auf ihn.
In Verlegenheit gebracht, schlug die Mutter dem Kind auf die Hand, doch dessen Stimme hallte im Raum nach, so daß viele Atevi aufmerksam wurden, dann aber so taten, als hätten sie weder den Menschen noch seinen Bewacher registriert.
Von aufdringlichen Blicken verschont blieben selbst die Lords der Provinzen mit ihrem Gefolge von Adjutanten und Leibwachen. Auch Bren hatte trotz des kindlichen Ausrufs keinen Grund, befangen zu sein und fürchten zu müssen, von allen Seiten begafft zu werden.
Höflich verabschiedete sich Bren von seinem Begleitschutz, als sie vor dem Flüsterflügel angekommen waren, jenem Teil der großen Pforte, der in den Audienzsaal führte. Bren trat leise ein, um die Sitzung, die bereits begonnen hatte, nicht zu stören.
Er fürchtete, sich allzu sehr verspätet zu haben. Aber Moni und Taigi waren nicht früher als sonst gekommen, um ihn zu wecken, hatten auch keinen Termin für das Gespräch mit dem Aiji genannt. Hoffentlich wartete Tabini nicht schon ungeduldig. Bren ging auf das Pult zu, wo der Zeitplan für die Anhörung auslag.
Banichi kam ihm entgegen. Er trug die metallbeschlagene schwarze Uniform der Leibgarde des Aiji. »Nadi Bren. Haben Sie gut geschlafen?« fragte er und trat auf ihn zu.
»Nein«, bekannte er; und hoffnungsvoll: »Haben Sie ihn erwischt?«
»Leider nein, Nadi. Der Regen ist uns dazwischengekommen. Zu dumm.«
»Weiß Tabini Bescheid?« Er warf einen Blick auf die Estrade, auf der Tabini-Aiji saß; er unterhielt sich gerade mit Gouverneur Brominandi. »Ich bin hierher bestellt. Wissen Sie vielleicht, was er von mir will? Was soll ich ihm sagen?«
»Die Wahrheit, aber nur wenn Sie mit ihm allein sind. Es war immerhin seine Waffe, oder?«
Bren blickte auf. Zweifelte Banichi inzwischen an seiner Geschichte? Von einem solchen Zweifel war bei ihm in der vergangenen Nacht noch nichts zu spüren gewesen. »Ich habe Sie nicht belogen, Banichi.«
»Ich weiß«, antwortete er, und als Bren auf das Pult zusteuerte, um sich beim Sekretär auf die Namensliste setzen zu lassen, hielt Banichi ihn am Ärmel ziehend zurück. »Kein Wort im Beisein anderer«, flüsterte er und nickte in Richtung Estrade. Ohne Brens Arm freizugeben, führte Banichi ihn vor das Podest.
Brominandi von Entaillan – meliertes schwarzes Haar und die Hände voller Ringe, manche zum Schmuck, andere als Zeichen seines politisches Amtes – Brominandi war ein Mann, der selbst Steine langweilen konnte. Die beistehenden Wachen hatten bislang noch kein höfliches Mittel gefunden, ihn, den Gouverneur, zum Gehen zu bewegen.
Auf das, was er zu sagen hatte, reagierte Tabini immerzu kopfnickend. Schließlich versprach der Aiji: »Ich werde die Sache vor den Rat bringen.« Offenbar ging es in diesem Gespräch wieder einmal um Wasserrechtsfragen. Darum stritten die beiden Provinzen am Oberlauf der Alujis gegen die drei Anrainer des Unterlaufs, die allesamt von einer geregelten Versorgung zur Bewässerung ihrer Felder abhängig waren. Seit nunmehr fünfzig Jahren dauerte dieser Streit an, ohne daß es je zu einer Einigung gekommen wäre. An Banichis Seite stehend faltete Bren die Hände, hielt den Kopf gesenkt und gab sich so unauffällig, wie es einem Menschen am Hofe eben möglich war.
Schlußendlich akzeptierte Tabini-Aiji die unvermeidliche Petition (oder war es die Protestnote gegen eine Petition der anderen Seite?) aus Brominandis Händen, eine voluminöse Schriftrolle, mit vielen Banderolen und Wachssiegeln versehen, und reichte sie weiter an seine Sekretäre.
Bren blickte flüchtig auf und sah, daß der Aiji ihm und Banichi ein Zeichen gab vorzutreten. Sie bestiegen die Estrade und verbeugten sich vor dem Sessel des Aiji. Das Gemurmel jener anderen Bittsteller, die den Vorzug hatten, unter den ersten zu sein, hallte leise von der weiß und golden bemalten Kuppel der Halle wider.
Tabini kam gleich zur Sache: »Wissen Sie, wer es war, Bren? Irgendein Verdacht?«
»Nein, Aiji-ma. Ich habe auf ihn geschossen, wohl aber nicht getroffen. Banichi sagte, ich solle behaupten, daß er geschossen hat.«
Tabinis gelbe Augen waren sehr hell, wirkten mitunter und bei besonderem Licht geradezu gespenstisch, und wenn er wütend war, konnten sie einem Angst machen. Doch er schien nicht wütend zu sein; er machte auch keinem einen
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