Atevi 1 - Fremdling
Forschungsgelder für die Entwicklung von Hochgeschwindigkeitstrassen beanspruchte und die Hochländer ins Schienennetz einbinden wollte. Dieser Streit wurde erweitert um Widerstände seitens der kommerziellen Luftfrachtunternehmen und nicht zuletzt auch seitens des Verbandes der Steuerzahler, der noch höhere Abgaben nicht hinzunehmen bereit war. Der Provinzgouverneur plädierte für den Straßenausbau und setzte mit seinen Argumenten den Bauminister gehörig unter Druck.
Der Computerbildschirm zur Rechten Brens hatte schon vor geraumer Weile sein Schonprogramm aktiviert. Bren folgte der Diskussion nur mit einem Ohr. Er kannte sämtliche Argumente längst; sie wurden nur immer wieder neu variiert und rhetorisch schmackhaft gemacht. Auf dem Notizblock, den er vor sich liegen hatte, entstanden Kritzeleien, die allenfalls in psychologischer Hinsicht von Bedeutung waren, aber immerhin interessanter als der Vortrag des Ministers für Transport und Verkehr.
Jago war draußen; sie erfrischte sich wahrscheinlich gerade mit einem Drink, während der Paidhi-Aiji nur noch einen kleinen Schluck Eiswasser im Glas hatte.
Jetzt meldete sich der Bauminister mit seiner einschläfernden, monotonen Stimme zu Wort. Doch der Paidhi-Aiji mußte zuhören, denn es war zu erwarten, daß jetzt bald ein Antrag zur Abstimmung kam. Er hatte natürlich kein Stimmrecht, durfte nicht einmal unaufgefordert Stellung beziehen, es sei denn, er entschloß sich, seine politische Trumpfkarte auszuspielen: Er konnte nämlich sein Veto einlegen gegen Ratsvorlagen für das Unterhaus, das Tashrid. Dieses Veto war verbindlich und zwang zur Einberufung des Vermittlungsausschusses. Er hatte von diesem Recht bislang zweimal Gebrauch gemacht, und zwar jeweils in Sitzungen des Rates für Forschung und Entwicklung. Dem Bauminister war er noch nie solchermaßen in die Parade gefahren – im Unterschied zu seinem Vorgänger, der sich insgesamt achtzehnmal gegen den Ausbau der Paßstraße ausgesprochen hatte. Dieses Thema war vorerst abgehakt, da es nun eine Schienenverbindung auf dieser Strecke gab.
Die Bibliothek auf Mospheira enthielt die gesamte Geschichte der Menschheit und sämtliche Aufzeichnungen von Brens Vorfahren, Erfahrungen und Einsichten, unter anderem darin, daß der rücksichtslose Konsum petrochemischer Ressourcen eines Planeten zugunsten einer Orgie motorisierten Individualverkehrs langfristig auf Kosten der Umwelt- und Lebensqualität geht. Doch was der Paidhi für richtig erachtete, vertrug sich nicht mit hiesigen Ambitionen, und im Falle des geplanten Schnellstraßensystems stieß sein Rat auf entschiedenen Widerspruch. Noch funkelte die Luft über dem Bergid-Massiv kristallen klar, was nicht zuletzt den Paidhiin zu verdanken war, die nun fast seit zwei Jahrhunderten in den Bundesprovinzen ihren Einfluß geltend machten. Bren war stolz auf diese Tradition.
Als die Menschen, wider Willen und ohne eingeladen zu sein, auf ihren Planeten gekommen waren, hatten die Atevi noch nicht einmal die Technik der Dampfkraft im Griff gehabt.
Als die Atevi dann mit den technischen Möglichkeiten der Fremden aus dem All Bekanntschaft machten, wollten natürlich auch sie am Fortschritt teilhaben und ihren Nutzen daraus ziehen. Aber im Unterschied zu den Menschen sahen sie in diesem Fortschritt vor allem die Chance zur persönlichen Machtentfaltung und Absicherung. Den Theoretikern der Menschen zufolge, waren die Atevi in dieser Hinsicht sozusagen allesamt gleichgeschaltet, denn dieses Machtinteresse war auf dem ganzen Planeten und über alle kulturellen Grenzen hinweg in gleicher Weise ausgeprägt. Auf der geschützten Insel von Mospheira hatten diese Theoretiker gut spekulieren, doch der Paidhi-Aiji mußte sich mit praktischen Problemen herumschlagen und gut Wetter machen beim Aiji der Ragi-Atevi in Shejidan, der Hauptstadt jener Provinz, die der Insel Mospheira am nächsten lag und seit langer Zeit mit ihr verbündet war.
Zerbräche diese Allianz, würde es zu einer zweiten schrecklichen Kraftprobe kommen zwischen menschlicher Technologie und den atevischen Haronniin. Der Begriff Haronniin ließ sich in der Sprache der Menschen nur annäherungsweise übersetzen mit ›Überbeanspruchung, die eine Korrektur rechtfertigt‹ oder anders ausgedrückt: War die Geduld der Atevi am Ende, gab es für sie nur ein Mittel zur Wiederherstellung sozialer Ordnung und psychischer Balance, nämlich Assassination. Übrigens: Auch für andere Begriffe ihrer Sprache gab es
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