Atevi 1 - Fremdling
verstehen. Sie können nicht mehr ohne weiteres zu Ihnen rein. Manches werden Sie nun selbst erledigen müssen. Zum Beispiel das Bett neu beziehen. Das mache ich auch. Ihre Wohnung ist jetzt ähnlich abgesichert wie meine oder die von Jago.«
Das wußte Bren bislang nicht, obwohl er Banichi und Jago gut kannte. Nun ja, in ihrem Fall und in Tabinis machten solche Umstände sehr wohl Sinn. Aber doch nicht in seinem.
»Ich kann doch davon ausgehen, daß keine Zweitschlüssel zu Ihrer Wohnung im Umlauf sind, oder?« sagte Banichi. »Irgendwelche Damen, von denen ich nichts weiß? Oder… ehm… andere Kontakte?«
»Nein.« Was für eine Frage. Banichi kannte ihn genau und wußte, daß er mit einigen Frauen auf Mospheira in Verbindung stand, daß er auch nicht abgeneigt war, mit der einen oder anderen eine – wie sich Banichi ausdrückte – ›Ein-Kerzen-Nacht‹ zu verbringen. Mehr war da nicht. Ihm, dem Paidhi-Aiji, fehlte im übrigen die Zeit für Geselligkeiten, geschweige denn für längere romantische Manöver, verletzte Gefühle, Abschiedszenen und das ganze Pipapo. Und schon gar nicht für solche Personen, die sich einzuschmeicheln versuchten, um ihm Informationen zu entlocken. Seine Freundinnen stellten keine Fragen und würden nie mehr von ihm verlangen als einen Strauß Blumen, einen Telefonanruf oder einen Abend im Theater.
»Passen Sie gut auf, falls Sie doch irgendwelche Schlüssel abgegeben haben sollten.«
»Ich bin doch kein Narr.«
»Narren der Art gibt’s im Bu-javid eine ganze Menge.«
Gib einem Ateva technische Möglichkeiten an die Hand, und er bastelt Dinge zusammen, auf die ein Mensch nie kommen würde. Die Erfindungen der Atevi haben ihren ganz eigenen sozialen Kontext; sie entspringen Ideen, die für Menschen kaum nachvollziehbar sind. Der sogenannte Draht war eine solche Erfindung. Typisch, daß Atevi bei allen innovativen Bemühungen in erster Linie an die Optimierung persönlicher Sicherheit dachten. Und es war für sie völlig legal, auch todbringende Schutzvorkehrungen zu installieren. Wie weit sie damit gingen und wie solche Geräte im einzelnen funktionierten, war nicht zu erfahren.
Der Paidhi versuchte, auf dem laufenden zu bleiben, was die technische Entwicklung der Atevi anging, zumindest in terminologischer Hinsicht. Doch diese Entwicklung ging so rasant vonstatten, daß er den Anschluß zu verlieren drohte, und es war zu fürchten, daß sie sich immer mehr der menschlichen Kontrolle entzog, zumal die Atevi ihre Erfindungen und Entdeckungen als Geheimnisse hüteten. Überhaupt waren die Atevi wenig kommunikativ.
Die beiden erreichten die Tür zu Brens Wohnung. Bren öffnete sie mit dem Schlüssel, den er von Banichi bekommen hatte. Weder von der Matte noch vom Draht war irgend etwas zu sehen.
»Glück gehabt«, sagte Banichi. »Sie haben den richtigen Schlüssel verwendet.«
»Den, den Sie mir gegeben haben.« Bren konnte über Banichis Scherz nicht lachen. »Wo ist die Matte. Ich sehe sie nicht.«
»Unterm Teppich. Ich empfehle Ihnen, nicht mehr barfüßig zu gehen. Es könnte sonst passieren, daß Sie sich am Draht die Zehen aufschneiden.«
Der Draht war extrem dünn und kaum auszumachen. Bren ging ins Zimmer. Banichi blieb vor der Tür stehen.
»Wenn er geladen ist, schneidet er sich durch alles durch, was isolieren könnte, durch Lederstiefel allemal. Aber auch im entsicherten Zustand sollten Sie ihm nicht zu nahe kommen. Bleiben Sie in der Wohnung und schließen die Tür.«
»Ich muß heute nachmittag zur Energiekonferenz.«
»Warten Sie auf Jago. Sie wird Sie abholen. Sie können sich ja inzwischen umziehen.«
»Was soll das? Werde ich jetzt ohne Begleitung nirgends mehr hinkommen? Glauben Sie etwa, daß mir der Bauminister oder der Chef der Wasserversorgung an die Gurgel springen könnte?«
»Sicher ist sicher, Nadi Bren. Im übrigen dürfte Ihnen Jagos Begleitung nicht unangenehm sein. Sie ist fasziniert von Ihren braunen Haaren.«
Bren war empört. »Sie macht sich über mich lustig, Banichi.«
»Verzeihen Sie.« Banichi verzog keine Miene. »Seien Sie nett zu ihr. Begleitschutz kann verdammt langweilig sein.«
II
Straße oder Schiene – darüber wurde schon lange gestritten. Auf der einen Seite standen die Befürworter des Individualverkehrs, die mit ihrer einflußreichen Lobby den Ausbau der Straßenverbindungen mit den Hügelstädten forderten. Nicht weniger mächtig war auf der anderen Seite die Eisenbahnindustrie, die
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