Atevi 1 - Fremdling
und gar nicht, daß nun alle Welt Bescheid wußte.
Und dann diese verfluchte Pistole. War sie, als man das Bett verschoben hatte, weggenommen worden?
Er stand auf und langte unter die Matratze.
Sie lag noch da. Erleichtert schlüpfte er wieder unter die Decke und starrte im Dunkeln vor sich hin.
Er grübelte bis tief in die Nacht hinein. Immer wieder kamen Zweifel an dem, was er zu wissen glaubte. Obwohl er Tabini in gewissen Dingen sehr nahestand, zweifelte er daran, ihm, dem Aiji, jemals irgend etwas begreiflich gemacht zu haben, was der nicht schon von ehemaligen Paidhiin gelernt hatte. Er, Bren, war Spezialist in Sachen linguistischer Forschung. Die wissenschaftliche Arbeit, mit der er sich für das Amt als Paidhi empfohlen hatte, war eine Analyse der Pluralbildung bei Mengenbegriffen im Dialekt der Ragi-Atevi – nichts Besonderes, aber er war stolz darauf, und er hatte ihr im Laufe der Zeit weitere Forschungsergebnisse hinzufügen können, nicht zuletzt dank der geduldigen Unterstützung Tabinis.
Ja, in der Grammatik kannte er sich aus, aber wie es den Anschein hatte, verstand er die Atevi immer weniger. Zum Beispiel Taigi und Moni, diese beiden Dienstboten, die ständig einen grimmigen Eindruck machten - Bren hatte aus ihnen nie schlau werden können. Warum waren ihm ausgerechnet diese beiden zur Seite gestellt worden? Was dahinter stecken mochte, wollte auch noch in Erfahrung gebracht werden. Er war völlig durcheinander und selbst schuld an diesem Zustand. Bestimmte Nuancen übersah er einfach, und er hatte sich auf etwas eingelassen, das für ihn nicht zu durchschauen war. Er stand in Gefahr, gänzlich zu versagen. Dabei war er angetreten in der Überzeugung, leisten zu können, was schon der erste Paidhi geschafft hatte: die sprachliche Kluft zu überbrücken und damit zum Verständnis und friedlichen Auskommen zwischen Menschen und Atevi beizutragen.
Damals, vor zweihundert Jahren, als die Menschen diese Welt für sich entdeckten, ihre Lager bauten und mit ihren Raumfähren immer mehr ihresgleichen herbeiholten, damals waren sie noch zuversichtlich, mit den einheimischen Atevi gütlich zusammenleben zu können – bis dann eines Tages, einundzwanzig Jahre nach ihrer Ankunft, zu einer Zeit, da sie sich hier eingerichtet hatten und voller Hoffnung auf die Zukunft waren, da plötzlich – warum und aus welchem Anlaß, fragte man sich unter Menschen nach wie vor – da schlug ihnen offner Haß entgegen.
Es kam zum erbitterten Krieg. Die Menschen hatten hochentwickelte Technik auf ihrer Seite; ihnen standen Heerscharen entschlossener Atevi gegenüber. Sie vertrieben die Fremden vom Küstenland der Ragi und drängten sie auf die Insel Mospheira, fielen auch dort über die Überlebenden her, die sich dort verschanzt hatten und in Sicherheit wähnten. Fast wäre die Menschheit restlos am Ende gewesen, wenn sich nicht der damals amtierende Aiji bereit erklärt hätte, sich mit jenem Mann, der der erste Paidhi werden sollte, unter vier Augen zu unterhalten, mit dem Ergebnis, daß er Mospheira an die Menschen abtrat und ihnen zusicherte, auf dieser Insel unbehelligt leben zu können.
Mospheira plus Waffenstillstand im Austausch gegen Technik. Der damalige Aiji hatte die Alternative klar vor Augen gesehen: Wäre es nicht zu diesem Abkommen mit dem Feind gekommen, hätten die eigenen Verbündeten sein Land zum Schlachtfeld gemacht in dem Versuch, einen jeweils exklusiven Zugriff auf die überlegene Technik der Fremden zu gewinnen. Der Feind wäre ausgerottet und damit jeder weitere Fortschritt im Keim erstickt worden.
Und so kam es zum Friedensvertrag, der unter anderem die Einrichtung des Paidhi-Amtes vorsah und der die Menschen verpflichtete, ihr technisches Know-how an die Atevi des Westbundes abzutreten – stufenweise, denn sowohl der damalige Aiji als auch der erste Paidhi waren vorausschauend und wußten zu verhindern, daß ein ungeordneter Transfer das existierende Gleichgewicht der ökonomischen und politischen Strukturen des Landes gefährdete.
Der Aiji hatte somit Kontrolle über die Menschen und deren Technologie. Der Krieg war zu Ende; die Atevi von Mospheira wurden auf die fruchtbaren Küstengebiete umgesiedelt – zu Lasten der ansässigen Ragi, doch auch sie konnten entschädigt werden, so daß schließlich alle Seiten zufrieden waren.
Die Menschen lebten nicht freiwillig unter dieser Sonne; der Zufall hatte sie hierher gebracht; sie gehorchten der Not, und alles, was mit den Atevi
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