Atevi 1 - Fremdling
verfahren, der offenen, profitierenden Hand den Vorzug gegenüber der Faust zu geben. O ja, das besondere Verhältnis zu Mospheira zahlte sich aus. Tabini hatte wohl schon seit Jahren mehr als bloß eine vage Vorstellung davon, wohin ihn der Rat und die Technik der Menschen führten.
Immerhin genoß der Westbund den höchsten Lebensstandard der bewohnten Welt. Auf all die Annehmlichkeiten, insbesondere das Fernsehen wollte keiner mehr verzichten. Und es kam auch nicht mehr vor, daß Ragi-Flugzeuge auf Brücken stürzten.
Wie auch immer, es schien so, als trachtete jemand nach Tabinis Leben. Das war die wahrscheinlichste Erklärung für den versuchten Anschlag. Weil aber Tabini unerreichbar abgeschirmt war, hatte der Überfall seinem Vermittler zu den Menschen gegolten und zum Ziel gehabt, die Beziehungen zu Mospheira zumindest vorübergehend zu stören.
Auch der nachfolgende Paidhi wäre seines Lebens nicht mehr sicher; es würde eine Phase der Destabilisierung anbrechen, in der eine alte Forderung mit neuem Nachdruck vorgetragen werden könnte, nämlich die Forderung, den Vertrag von Mospheira nachzuverhandeln, und zwar dahingehend, daß auch andere Bünde im gleichen Maße profitieren. Das hatte der Westbund bislang immer erfolgreich zu verhindern gewußt.
In einem solchen Szenario war der Paidhi-Aiji eine willkommene Zielscheibe. Er kam gut aus mit Tabini. Er mochte Tabini sogar gut leiden, wenngleich dieses freundschaftliche Gefühl natürlich nicht auf Gegenseitigkeit beruhte; Tabini war schließlich ein Ateva. Dennoch, ihr Verhältnis konnte kaum besser sein. Es war so gut, so einvernehmlich und entspannt, daß manche Anstoß daran nehmen mochten, konkret: an ihrem gemeinsamen Kurzurlaub in Taiben als Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit.
Ja, vielleicht hatte dieses – nach Brens Einschätzung – besondere Verhältnis zur Krise geführt; vielleicht war irgendeine sensible Grenze überschritten worden, allzu naiv und plump.
Erschreckender Gedanke. Völlig versagt zu haben, weil über die Maßen erfolgreich?
Falls Tabinis Regierung ins Wanken geriete und das undurchsichtige Gefüge der atevischen Bünde sein Schwergewicht verlagerte, etwa nach Osten, weiter ins Festland hinein, würden Menschen noch mehr ins Hintertreffen geraten, allein schon wegen der ethnischen Spannungen zwischen den Ragi, Nisebi und Meduriin; in einem solchen sozialen Klima war das Feindbild Mensch von besonderer Brisanz.
Mit Ausnahme einiger Stämme in entlegenen Randgebieten und auf den Inseln im Edi-Archipel hatten die Atevi in den Zeiten vor der Ankunft der Menschen immer eine globale, im großen und ganzen homogene Zivilisation gebildet. Ihre Entdecker waren in Holzschiffen um die Welt gesegelt, nicht anders als bei den Menschen der verlorenen Erde, worüber die Geschichtsaufzeichnungen Aufschluß gaben. Allerdings hatten die Atevi keine ›Neue Welt‹ gefunden, sondern lediglich jenes Edi-Archipel, eine Reihe öder Vulkaninseln mit einer rückständigen Bevölkerung, die den doppelten Angriff und die Besetzung durch die Entdecker aus dem Osten und die aus dem Westen ohnmächtig über sich ergehen lassen mußten. Für Ethnologen und Altertumsforscher nach wie vor rätselhaft war der Umstand, daß sich damals auf diesen Inseln Vertreter der beiden atevischen Hauptstämme, beheimatet auf den jeweiligen Hälften des vom Zentralgebirge geteilten Kontinents, erstmalig begegneten, dennoch aber auf Anhieb verblüffende Gemeinsamkeiten feststellen konnten. Beide Seiten hatten von alters her, statt die jenseits des Zentralgebirges liegenden Gebiete zu erkunden, die Erforschung der Seewege vorgezogen und gleichzeitig jene hochseetauglichen Schiffe zu bauen gelernt, die ihnen die Passage zu den Inseln ermöglichte.
Historisch betrachtet war das Verhältnis zwischen den atevischen Ethnien durchweg kooperativ gewesen. Darum konnten sie nicht verstehen, daß sich die Menschen freiwillig in die Isolation auf Mospheira begeben und sich keinem Bund angeschlossen hatten. Ein solcher Verzicht mußte unter den Atevi Verdacht erregen. Doch Shejidan war in die Bresche gesprungen; es hatte seine Furcht vor diesen Außenseitern überwunden und den fremden Begriff des ›Vertrags‹ gedeutet als ein menschliches Ersuchen um Aufnahme in einen atevischen Bund. Daß es zu diesem versöhnlichen Verständnis kam, war eine der größten Leistungen des ersten Paidhi.
Tabini gestand, den Sinn solcher Wörter wie ›Vertrag‹ oder ›Grenze‹ bis
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