Atevi 2 - Eroberer
seiner Vision zum Ausdruck zu bringen versucht.«
»Verzeihung, ich kann Ihnen auf Ihrem Höhenflug nicht so recht folgen.«
»Es geht um das Paradoxon der Überlichtgeschwindigkeit. Stellen wir uns vor, das Universum hat eine Topographie aus Bergen und Tälern, eine schwarze, ausgedehnte Oberfläche, die einer Landschaft ähnelt, mit Sternen darin, die mal höher gelegen sind, mal tiefer. Wie alle anderen Bewegungen, so muß auch das Licht dieser Sterne den Wegen folgen, die ihm das Allgelände bietet. Das läßt sich in Zahlen ausdrücken, die mit dem Weltbild der Deterministen durchaus vereinbar sind. Noch sind unsere Meßergebnisse der verzerrenden Atmosphäre wegen ungenau. Aber wenn wir erst einmal die Raumstation bezogen haben, können wir viel präzisere Beobachtungen anstellen.«
»Sie sind ein Schelm«, sagte Ilisidi und ließ die Mundwinkel zucken; ihre goldenen Augen blitzten.
»Glauben Sie mir, nand’ Aiji-Mutter. Dort in den Unterlagen steht der rechnerische Nachweis für die Faltenraumtheorie.«
»Faltenraum. Gefalteter Raum.«
»Eine Modellvorstellung der Menschen, die mathematisch nicht so begabt sind wie die Atevi und in ihrer Sprache nicht auszudrücken verstehen, was in diesen Papieren beschrieben ist.«
»Beschrieben von diesem verrückten Alten aus den Bergen?«
»Aiji-ma, das Licht reist nicht auf geraden Wegen, obwohl es sich aus unserer Perspektive so darstellt. Ein leicht ansteigender Hang kommt uns so vor, als sei er flach. Aber in den Beinen spüren wir die Steigung. Die Perspektive täuscht, aber die Mathematik und unsere Beine korrigieren den falschen Eindruck.«
Ilisidi schüttelte den Kopf. »Das haben Sie sich hübsch ausgedacht.«
»Das habe ich mir nicht ausgedacht, ’Sidi-ma.« Die vertrauliche Anrede war ihm so rausgerutscht. »Es gehört zu dem, was ich schon als Kind in der Schule gelernt habe. Man hat mir zwar nicht beigebracht, wie ein Raumschiff zu steuern ist, aber ich weiß in etwa, wie es sich im All bewegt.«
»Schneller als Licht.«
»Sehr viel schneller.«
»Nun, mir drängt sich die Frage auf: Warum kommen Sie ausgerechnet jetzt, zu einem ohnehin kritischen Zeitpunkt, mit solchen Offenbarungen? Und könnte es womöglich sein, daß Sie Hanks-Paidhi sozusagen als Lockvogel vorgeschickt haben?«
»Nand’ Aiji-Mutter, ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, es geschah nicht auf meine Veranlassung hin, daß Hanks-Paidhi in dieser Sache vorgeprescht ist. Und um einen weiteren möglichen Verdacht gar nicht erst aufkommen zu lassen: Daß ich Ihnen hier und jetzt Auskunft gebe, ist einzig mein Entschluß und nicht etwa mit meinem Ministerium abgesprochen.«
»Trotzdem, ich wundere mich doch sehr: Das Schiff kreuzt auf, Geigi gerät in Schwierigkeiten, Sie ziehen wie eine Trumpfkarte diesen Astronomen aus dem Ärmel und versuchen, bei mir gut Wetter zu machen. Steckt mein Enkel dahinter?«
Das Tageslicht hatte zugenommen, und ihm dämmerte, daß er in äußerster Gefahr schwebte. Ilisidis Augen waren kalt. Wer es wagte, diese Frau zu betrügen, würde daraus keinen Nutzen davontragen.
Sie schnippte mit den Fingern. Ein Diener – wohl einer von Cenedis Männern, wie Bren vermutete – kam mit einer Kanne Tee und schenkte beiden ein.
»Nun?« fragte Ilisidi.
»Nand’ Aiji-Mutter, Ihr Enkel hat gewiß nichts mit alledem zu tun. Und der Emeritus ist keine Entdeckung von mir, sondern ein renommierter Wissenschaftler, der sich seit langem mit der Frage nach der Gestalt des Weltalls beschäftigt und, wenn ich das richtig beurteilen kann, die zutreffende Antwort gefunden hat.«
»Genau zum richtigen Zeitpunkt? Das kommt doch auffällig gelegen. Und mein Enkel soll wirklich nichts damit zu tun haben, daß uns ausgerechnet jetzt vermeintliche Wahrheiten serviert werden, die den Deterministen Hohn sprechen?«
»Aber das ist doch nicht der Fall! Im Gegenteil, die neuen Erkenntnisse unterstützen ihren Glauben.«
»Das hat man Ihnen weiszumachen versucht. Und Sie hatten nichts Eiligeres zu tun, als diesen Mann aufzusuchen, der zufällig gerade zur Erleuchtung gekommen ist.«
»Nicht zufällig, nand’ Aiji-Mutter. Richtiger wäre es, von einer logischen Konsequenz unserer gemeinsamen Geschichte zu sprechen. Mospheira hat der atevischen Wissenschaft auf die Sprünge geholfen. Die Menschen waren in ihrer technischen Entwicklung schneller, weil sie sich im Gegensatz zu den Atevi immer schon auf Schätzungen und Annäherungsberechnungen verlassen haben. Das ist
Weitere Kostenlose Bücher