Atevi 2 - Eroberer
ich gerade jetzt mein Wort bräche.«
»Die Aiji-Mutter ist abgereist, nand’ Paidhi.«
»Abgereist?«
»Eine Stunde vor dem Anschlag.«
Ihm wurde flau im Magen. »Verdammt«, sagte er.
»Sie war wohl gut beraten, das Bu-javid zu verlassen.«
»Die Entführer von Hanks… was haben sie mit ihr vor? Dumme Frage, ich weiß. Aber haben Sie eine Ahnung, Banichi?«
»Es waren bestimmt keine heiratswilligen Freier«, antwortete Banichi trocken. »Ich nehme das Naheliegende an: Man hat es auf ihre Fachkompetenz abgesehen. Auf ihren Computer.«
»Sie ist keine schlechte Frau«, entfuhr es Bren. Er hätte nie für möglich gehalten, sie einmal verteidigen zu müssen. Aber er hatte Angst um sie als Mensch, der im Unterschied zu den Atevi Geiselnahme für eins der schlimmsten Verbrechen hielt. Und er fürchtete, daß diejenigen, die sie verschleppt oder den Auftrag dazu gegeben hatten, nämlich die konservativen Gegner Tabinis, nur wenig Geduld für sie aufbringen würden, denn es waren schließlich dieselben, denen die menschliche Siedlung auf Mospheira ein Dorn im Auge war. Sie würden aus ihr Informationen herauszupressen versuchen, Informationen über die Pläne der Menschen und Tabinis Anteil daran.
Oder sie wollten ihr Aussagen entlocken, die in der Öffentlichkeit einen Aufstand gegen Tabini entfachen könnten. Verdammt, er wußte nur zu gut einzuschätzen, in welcher Zwangslage sich Deana nun befand. Er glaubte, ihre Verzweiflung körperlich spüren zu können in der schmerzenden Schulter und den Rippen.
Und hinter den Augen machte sich noch ein anderer Schmerz bemerkbar, den ein Mann in seinem Job gar nicht empfinden durfte, ein beißender, wütender Schmerz, ausgelöst durch Ilisidis Verhalten. Es war ein törichter und persönlich wie professionell gefährlicher Fehler, einem Ateva gegenüber Zuneigung zu empfinden.
Man konnte Wilsons Weg einschlagen und vergessen, was Liebe bedeutet. Oder man konnte sich dafür entscheiden, den Schmerz auszuhalten, und sich stets darüber im klaren sein, daß Atevi andere Bedürfnisse hatten und rücksichtslos über menschliche Gefühle hinweggingen.
»Ich danke Ihnen«, sagte Bren. »Habe ich ›danke‹ gesagt? Ich meine es so.«
»Ich tue nur meinen…«
»…Job. Ja, ich weiß. Aber das ist mir zu wenig. Ich hätte mich heute abend eher erschießen lassen als zu riskieren, daß womöglich Sie es sind, auf den ich abdrücke. Sagt Ihnen das was?«
»Das gibt mir zu denken.«
»Dann denken Sie nach, Banichi-ji. Ich bin jetzt zu müde dazu.«
Banichi konnte natürlich nicht verstehen, worauf Bren abzielte. »Sie haben recht, Nadi«, sagte er. »Wir sollten Sie besser informieren.«
Es blieb der Kloß im Hals. Es gab keine Lösung, keine Übersetzung. In keinem Wörterbuch, nicht einmal in der Vokabelliste des Paidhi.
Banichi drehte das Licht aus. »Wenn es noch einmal Alarm geben sollte, verlassen Sie sich auf uns. Und bleiben Sie im Bett.«
Vielleicht wurmte es die Atevi genausosehr, daß er nicht nachempfinden konnte, woran ihnen gelegen war. Sie hatten kein Wort für Einsamkeit. Allenfalls eines für Verwaisung oder Abtrünnigkeit.
Sie konnten nicht einsam sein, und vielleicht verstanden sie sich viel besser als die Menschen auf ihre Motive und Empfindungen. Psychiatrie wurde hier nicht praktiziert. Ein Ateva würde sich niemals einer Person anvertrauen, die nicht seinem Man’chi angehörte. Aber vielleicht kannten sie auch gar keine seelischen Krankheiten. Sie hatten ein praktisches Ventil für innere Spannungen: die Blutrache.
Banichi würde sich womöglich noch eine Weile den Kopf zerbrechen und über Bemerkungen des Paidhi grübeln, vielleicht sogar, wenn es denn tatsächlich so etwas gab, im atevischen Wörterbuch der Menschensprache nachschlagen, um herauszufinden, was er gemeint haben könnte.
Er, Bren, hatte nicht lockergelassen in seinem dringenden Wunsch zu erfahren, ob die, denen er sich verbunden fühlte, denn auch in Sicherheit waren und wo sie sich zur Zeit aufhielten. Womöglich entsprang dieser Wunsch weniger einer Sorge aus Zuneigung, sondern einem neurotischen Bedürfnis, das Vertraute an seinem Platz und die Ordnung gewahrt zu wissen.
Aber er wurde das ungute Gefühl nicht los, das ihm auf den Magen geschlagen war, als er sich im Gespräch mit Banichi auf das heikle Thema der Beziehungsloyalität eingelassen hatte und ihm wieder einmal schmerzlich bewußt geworden war, daß er in ungeschützte Bereiche tappte, daß ihn Bedürfnisse
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