Atevi 3 - Erbe
in der Früh treffen wir uns vor den Eingangsstufen.«
»Nand’ Aiji-Mutter«, verabschiedete sich Jason mit tiefer Verbeugung. Bren begleitete ihn nach oben auf das unbeheizte, nur mit Kerzenlicht beleuchtete Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.
»Jetzt kommt wohl wieder der Spruch: Bitte vertrau mir. Stimmt’s?« schmollte Jason in seiner Muttersprache.
»Was ist nur los mit Ihnen«, erwiderte Bren auf ragi. »Versuchen Sie, Ärger heraufzubeschwören, oder sind Sie einfach nicht gut beieinander?«
Jason antwortete nicht. Vielleicht ahnte er, daß die Dinge komplizierter waren als gedacht.
»Tun Sie mir bitte einen Gefallen, Nadi. Gehen Sie zu Bett.«
»Kommst du zurück?«
»Natürlich. Sie haben, was die Bettseite angeht, freie Wahl.«
»Wohin willst du? Was hast du vor?«
»Die Aiji-Mutter bei Laune halten und herausfinden, was den jungen Mann von Dur hierher geführt hat.«
Jason zeigte sich skeptisch. »Werden sie dir denn überhaupt Auskunft geben?«
»Wir wären schon unterrichtet, wenn Sie sich nicht danebenbenommen hätten. Der Aiji-Mutter zu widersprechen ist unerhört. Was ist bloß in Sie gefahren? Nehmen Sie doch wenigstens ein bißchen Rücksicht auf mich, Ihren Kollegen, der dasselbe Interesse verfolgt wie Sie, nämlich den Bau der Raumfähre. Warum harmonieren wir nicht besser?«
Bren war auf eine heftige Replik gefaßt. Doch ruhig und auf ragi antwortete Jason: »Nadi, was muß ich tun, um Sie auf meine Seite zu holen?«
»Ich bin doch auf Ihrer Seite.« Bren trat vor Jason hin, zog ihn beim Kragen zu sich und flüsterte ihm ins Ohr: »Denk daran, daß man uns wahrscheinlich belauscht.« Und dann wieder laut: »Legen Sie sich jetzt schlafen.«
Bren ging.
Über die Stiege nach unten und in den provisorischen Speisesaal, wo die Dienerschaft schon den Tisch abzuräumen begonnen hatte. Alle Sicherheitskräfte waren aufgestanden, nur Ilisidi saß noch, hielt aber schon den Stock in der Hand, und ihr Stuhl war vom Tisch abgerückt.
»Na also«, sagte sie, als habe Bren durch seine Rückkehr ihre Erwartungen erfüllt.
»Tano-ji, behalten Sie bitte Jason im Auge«, sagte Bren im Vorbeigehen, obwohl ihm bewußt war, daß er in Ilisidis Gegenwart niemandem Befehle zu erteilen hatte, schon gar nicht Tano.
»Ja«, antwortete Tano, als Bren bei Ilisidi ankam. »Aiji-ma«, sagte Bren. »Sehen Sie meinem Kollegen bitte seine sprachlichen Defizite nach.« Sie nickte huldvoll.
»Und bitte verzeihen Sie auch meine Verständnislücken. Dürfte ich Ihnen eine vertrauliche Frage stellen, nand’ Aiji-Mutter.«
»Was wünschen Sie zu wissen, nand’ Paidhi?« »Warum dieser junge Mann von Dur hier ist?« Am Stock abgestützt, beugte sich Ilisidi nach vorn. »Eine gute Frage. Cenedi-ji, warum ist er hier?«
»Er sieht den Weltfrieden bedroht und hat angeblich stichhaltige Gründe. Aber er ist nur ein dummer Junge, impertinent und ohne jegliche Finesse.« »Aber mit guten Absichten, oder?« sagte Bren. »Es scheint so.«
»Nandiin«, schaltete sich Algini ein. »Er hat wiederholt versucht, den Paidhi zu erreichen. Beziehungsweise den Aiji.«
»So, so«, murmelte Ilisidi. »Vielleicht sollten wir ihn uns mal genauer ansehen. Nand’ Paidhi, sind Sie interessiert?«
»Sehr sogar, Aiji-ma«, antwortete er. Sein Gehirn arbeitete schon auf Hochtouren. Jago stand in seinem Blickfeld, und er konnte sich darauf verlassen, daß sie ihm ein Zeichen gäbe, falls er sich Ilisidi gegenüber inkorrekt verhielte.
Er hatte nie richtig begriffen, wie weit oder tief atevische Loyalitäten reichten, spürte aber doch auf seine menschlich emotionale Art, daß er Banichi und Jago und Tabini zugetan war und daß es so etwas wie Freundschaft, ja, Freundschaß sein mußte, die Tabini und Ilisidi veranlaßten, ihm zuzuhören und einen Kurs des Ausgleichs zu steuern.
Dumm, etwas anderes überhaupt in Betracht zu ziehen; es war gar kein Denken daran, daß Ilisidi den Konflikt suchte oder daß Tabini sie, die Paidhiin in Verkennung seiner Großmutter nach Saduri hatte ziehen lassen.
Von Cenedi per Taschen-Kom gerufen, traten schwarz uniformierte Sicherheitskräfte zur Tür herein, die eine merklich verängstigte Gestalt in Handschellen mit sich führten.
»Nand’ Paidhi!« rief der junge Mann.
»Dummer Junge«, sagte Ilisidi und lenkte damit seine Aufmerksamkeit auf sich. Spätestens jetzt erkannte besagter dumme Junge, daß er ganz tief in Schwierigkeiten steckte. Er wurde ruhig und beugte sich so respektvoll, wie
Weitere Kostenlose Bücher