Atevi 3 - Erbe
Rhythmuswechsel in Nokhadas Schritt aufmerken ließ. Er blickte auf und sah den Horizont nahe herangerückt: In kurzer Entfernung fiel hinter einer scharfen Kante das Land steil ab, und fast so schwindelnd tief, wie aus dem Flugzeug betrachtet, breitete sich das Meer vor ihnen aus. Die Felsen auf der anderen Seite der Bucht waren im Dunst nur schemenhaft auszumachen, und aus der golden schimmernden Wasserhülle stieg bläulich grau eine Insel auf.
Fast synchron zu Babsidi hielten alle Mecheiti am Rand des Abhangs an.
»Das da hinten ist Dur!« rief der Junge und fügte gesittet und leiser hinzu: »nand’ Aiji-Mutter.«
»Ja, so ist es«, antwortete Ilisidi und ließ Babsidi in die Knie gehen, um abzusteigen. Dann nahm sie ihren Stock aus der Schlaufe, in der sie ihn beim Reiten mit sich führte, und zeigte an: »Hier rasten wir.«
»In welche Richtung schauen wir?« fragte Jason leise.
»Überlegen Sie mal«, antwortete Bren. »Wo steht jetzt die Sonne?«
Jason wandte sich ein Stück nach links, der Sonne zu, vor der sich schwarz ein schartiges Stück Fels abzeichnete, an dem sich der Wind brach. »Da müßte Westen sein.«
»Und dort ist Norden«, sagte Bren, indem er in die Richtung zeigte. »Somit wäre das der Westnordwesten.«
»Westnordwest«, wiederholte Jason gelehrig. Die Himmelsrichtungen zu unterscheiden fiel ihm noch schwer. »Dur liegt im Nordwesten, Mospheira im Westen und Shejidan gütlich.« »Südlich. Genauer im Südosten.« »Süden«, lernte Jason. »Osten. Schaffen es die Mecheiti, ans Meer hinunter zu steigen?«
»Wenn’s hier einen Pfad gibt.« Wovon auf dem ersten Blick nichts zu sehen war. »Aber wir sind für heute wohl schon weit genug gekommen. Jetzt gibt’s, hoffe ich, zu essen.« Und in der Tat machten sich die Bediensteten daran, ein Lager einzurichten. Bren seufzte erleichtert und ertastete eine wunde Stelle, die, so war zu fürchten, am morgigen Tag noch sehr viel schlimmer schmerzen würde. »Wir rasten hier? Was heißt das?« fragte Jason. »Ausruhen. Wir verbringen hier die Nacht.« Mit Atevi zu reden war ein ständiges Jonglieren mit Zahlen. In Gesprächen mit Jason mußte Bren ständig überlegen, welche Wörter er schon kannte und welche noch nicht.
»Morgen früh gehen wir ans Meer.«
»Nadi, beachten Sie die Höflichkeitsformen. Halten Sie sich, was dieses Thema angeht, beim Abendessen zurück. Die Aiji-Mutter gibt aus freien Stücken und läßt sich nichts abverlangen. Benehmen Sie sich.«
Jason war irritiert, doch es gelang ihm, seiner Miene jeglichen Ausdruck zu nehmen, und mit angedeuteter Verbeugung sagte er: »Nadi, ich werde Ihre Worte berücksichtigen. Nord. Nordwest. Süd. Südost. Ist dort drüben der Nordosten?«
»Ja«, bestätigte Bren. »Taiben liegt im Nordosten. Und südwestlich von hier liegt die Bucht von Onon-disi. Was wir sehen, ist das Wasser der Nai-Bai.«
»Ich weiß. Das ist so auf der Karte verzeichnet.«
Die Bucht war auf der Karte eingetragen, nicht aber die Sonne. Und Shejidan lag »gütlich«.
Bren hoffte, daß der Ausflug nicht zuletzt Jasons Wortschatz zugute kam, daß die Nacht ruhig bleiben würde, daß die Lieferwagen gestern tatsächlich nur Lebensmittel gebracht hatten und daß Tano und Algini zurückgeblieben waren, um das Bankett zur Feier der Rückkehr vorzubereiten. Blieb noch zu hoffen, daß sich all dies auch glücklich fügte.
»Und noch etwas«, sagte Bren in Anbetracht der Tatsache, daß Jason zum allerersten Mal unter freiem Himmel übernachten würde. »Seien Sie vorsichtig am Rand des Abhangs. Erosion, verstehen Sie, Nadi? Der Boden dort ist wahrscheinlich ohne Halt und bröckelig; er könnte unter Ihren Füßen nachgeben.«
»Wie kommen wir dann runter?«
»Vorsichtig«, antwortete Bren. »Auf einem Pfad, wenn es so etwas gibt. Dazu sind Pfade oder Wege da.«
Das Gepäck wurde von den Lasttieren abgeladen. Leinwandsäcke verwandelten sich blitzschnell in Zelte, moderne Zelte, die mit ein, zwei Handgriffen aufgebaut waren.
Für eine Frau, die der Moderne skeptisch gegenüber stand, war Ilisidi erstaunlich fortschrittlich, was ihre Reiseausrüstung anging. Bren kannte diese Zelte, die es auf Mospheira schon seit vielen Generationen gab. Aber erst in jüngerer Zeit gab es sie auch in größeren, atevigemäßen Abmessungen auf dem Festlandsmarkt; sie waren auf Anhieb ein Exportschlager geworden, womit sich Mospheria die Belieferung von Aluminium hatte sichern können.
Bren hätte nicht gedacht, daß die
Weitere Kostenlose Bücher