Atevi 3 - Erbe
Zeilen verschwammen, und er wischte die Augen.
… daß es dir gut geht und daß dieser Brief bei dir ankommt. Zu dumm, daß unser Gespräch unterbrochen wurde, bevor ich mich für das entschuldigen konnte, was ich dir an den Kopf geworfen habe. Tut mir leid. Eigentlich wollte ich dir nur gesagt haben, daß ich dich liebe, Bruder.
Bren konnte seine Hand nicht mehr ruhig halten; er konnte nicht mehr sehen, keinen Gedanken fassen, außer den, daß er es sich nicht leisten durfte, vor all den Atevi, die im Dienst der Aiji-Mutter standen, zu zeigen, wie ihm zumute war. Es stand allzu viel auf dem Spiel. Er stand auf in der Absicht, sich, ehe er die Fassung verlor, auf eine Toilette zurückzuziehen, ruhig und beherrscht, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Sich zum Gespött zu machen und vor der Aiji-Mutter zu blamieren würde womöglich verheerende Folgen haben können.
»Jago-ji«, sagte er und wagte es nicht, mit den tränenden Augen zu blinzeln. »Können Sie mir zeigen, wo hier die Waschräume sind?«
»Nandi.« Jago rückte, Gott sei dank, zwischen ihn und die anderen. »Da lang.« »Bren?« fragte Jason.
»Bleiben Sie hier«, forderte Bren den Kollegen auf, erleichtert, die verloren geglaubte Sprache zurückgefunden zu haben. Wenn er jetzt noch Gelegenheit hätte, die Augen zu wischen, ohne sich zum Narren zu machen, würde er wieder zur Stelle sein, ehe die anderen skeptisch geworden wären.
Jago führte ihn durch einen Flur zur Tür eines Waschraums. Sie folgte ihm nach drinnen. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so leise war es. »Bren-ji?«
»Schon gut.« Es gab ein Handwaschbecken. Er ließ kaltes Wasser laufen und wusch das Gesicht. Jago reichte ihm ein Handtuch. Atevische Toiletten hatten keine Spiegel. Er hoffte die Haare nicht naß gemacht zu haben. Die Augen waren wieder trocken, doch nach wie vor steckte ihm ein Kloß im Hals. »Jago-ji, tut mir leid. Aber jetzt geht es wieder. Wie sehe ich aus?«
»Elend«, antwortete sie. »Was stand in dem Brief zu lesen, Bren-ji?«
Er suchte nach einer Antwort. Nur Gutes hätte ihm niemand abgenommen.
Da wollte jemand zur Tür herein. Jago stellte sich schützend davor. »Bren?« Es war Jason, der nach ihm fragte.
»Moment noch.« Wut kam in ihm hoch, Verlegenheit, Verdruß, er wußte nicht was. Und Jason ließ nicht locker.
»Ich muß mit ihm sprechen, nand’ Jago. Bitte.«
»Lassen Sie ihn rein, Nadi-ji«, sagte Bren, denn der Tonfall des Kollegen legte die Vermutung nahe, daß er in den Aufzeichnungen auf etwas sehr Dringliches gestoßen war. Jago öffnete die Tür.
»Auf ein Wort«, insistierte Jason. »Ich habe die Nachricht gelesen und muß mit Ihnen reden. Unter vier Augen.«
Bren verstand nicht. Er hatte überhaupt kein Interesse daran, mit Jason über persönliche Angelegenheiten zu diskutieren, zumal es weit wichtigere Dinge zu klären galt.
Und dazu gehörte unter anderem Jagos Kooperation.
»Jago?« sagte er.
»Ich werde Sie nicht allein lassen, Bren-ji.« Jedoch trat sie ein paar Schritte zur Seite und stellte sich mit dem Rücken zur Wand.
Jason gab sich mit ihrer Diskretion zufrieden, duckte den Kopf und holte tief Luft wie jemand, dem eine unerfreuliche Aufgabe bevorstand. »Bren«, sagte er leise und fuhr in seiner Muttersprache fort: »Yolanda versucht, von der Insel wegzukommen. Sie will zu uns aufs Festland.«
Es dauerte mehrere Herzschläge, ehe Bren kapierte: Yolanda Mercheson, Jasons Partnerin aus dem Schiff, wollte Mospheira verlassen?
»Warum?« war das einzige, was’ ihm zu fragen einfiel. Nicht wann? Nicht wie? Und ehe er sich auf anderes besinnen konnte, stand Cenedi in der Tür.
»Nandiin. Ist etwas?«
»Nein«, entgegnete Bren. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und es fiel ihm ein, daß er Ilisidi warten ließ. »Einen Augenblick noch, Cenedi-ji. Bitte entschuldigen Sie mich bei der Aiji-Mutter und sagen Sie ihr, daß ich in wenigen Minuten wieder bei ihr sein werde.« So etwas gehörte sich eigentlich nicht; er tat es trotzdem. »Jason, warum? Was ist passiert?«
»Einzelheiten sind mir nicht bekannt. Ich weiß nur, daß sie kommt. Sie sagt, daß sie auf der Insel ihre Aufgaben nicht erfüllen kann.«
Mospheira aufgeben? Wollte das Schiff die Menschen dort im Stich lassen?
»Ich verstehe das nicht«, sagte Bren. »Und wie wollen wir das der Aiji-Mutter erklären? Wann wird Yolanda hier sein?« Plötzlich kam ihm Jasons drängendes Verlangen, ans Meer zu kommen, verdächtig vor.
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