Atevi 3 - Erbe
geführt worden war, daß die beiden Personen, die er von allen am liebsten hatte, diese seine Gefühle als Atevi, die sie waren, nicht erwidern konnten. Er mußte erneut einsehen, daß es ihnen unmöglich war, wie Jason oder wie dessen Mutter zu sagen: Ich liebe dich.
Auch atevische Kinder hingen an ihren Eltern. Aber nicht aus Liebe.
Ein tiefwurzelnder Impuls ließ sie, sooft es brenzlig wurde, beim Nächststärksten Zuflucht suchen.
Konnte ein Mensch die emotionale Befriedigung nachvollziehen, die Atevi empfanden, wenn sie diesem Drängen nachgaben oder gar selbst solchermaßen bedrängt .wurden? Genauso wenig konnten Atevi nachempfinden, was in Jason und seiner Mutter vorging, wenn sie sich über unüberwindliche Entfernung hinweg sagten, daß sie einander liebten.
Atevi hingegen mußten davon ausgehen, daß sich, wenn sie dermaßen weit vom Oberhaupt ihrer Assoziation entfernt waren, ihre tiefsten Gefühle nicht befriedigen lassen würden. Und deshalb gab es für den Paidhi vielleicht so etwas wie Mitleid.
Jago sagte leise: »Es ist, als wäre sie auf dem Mond, nicht wahr?«
»Aber selbst auf dem Mond wird es bald Eisenbahn und Fernsehen geben, wenn unsere Fähre fliegt«, erwiderte Banichi, wie immer pragmatisch eingestellt.
»So wird’s sein«, sagte Bren und räusperte sich. »Das müßte auch Jason wissen. Ich glaube, ich sollte mal nach ihm sehen.«
Sie machten daraufhin einen erleichterten Eindruck, sei es, daß sie glaubten, er werde mit dem anstehenden Problem fertig, oder daß sie das Fremde, dem sie nur über Analogieschlüsse nahekommen konnten, nun einfach ausgeblendet hatten.
Er überließ sie ihrem Gespräch, worum es sich auch drehen mochte – wahrscheinlich um das seltsame Gebaren der Menschen –, durchquerte das Foyer und ging durch den Flur tiefer in das Appartement hinein, zur Bibliothek, wo das Telefon war und wo er darum auch Jason wähnte.
Zu seiner Verwunderung sah er die Dienerinnen – ausnahmslos alle – in einer langer Reihe Schlange stehen und jeweils eine Blume in der Hand halten. Sie verbeugten sich, als er verwirrt an ihnen vorbeieilte, von einem Zimmer zum nächsten bis ins Büro von Lady Damiri, die dort einen privaten Telefonanschluß hatte.
Jason stand außen vor der Tür und nahm, perplex wie er war, das Defilee der Dienerinnen ab, die sich, eine nach der anderen, feierlich vor ihm verbeugten, ihm schweigend eine Blume überreichten und zur Seite wegtraten.
Bren traute seinen Augen nicht und blieb stehen. Im selben Augenblick tauchte Madam Saidin an seiner Seite auf.
Jasons Arme füllten sich mit Blumen, und seiner Miene nach zu urteilen wurde ihm auch ums Herz immer schwerer, bis schließlich auch die letzte Dienerin ihre Blume abgegeben hatte und davongegangen war.
»Wenn ich bitten dürfte, nand’ Saidin«, sagte Jason artig und reichte ihr die Blumen. »Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll.«
»Geben Sie nur her«, sagte Saidin, und nahm die Blumen vorsichtig entgegen, neunundvierzig an der Zahl und verschiedene Sorten. Der ganze Raum duftete danach. »Wünschen der Paidhi, daß ich sie für ihn in den Gartenteich werfe?« fragte sie Jason. »Das wäre angemessen.«
»Bitte, tun Sie das«, antwortete Jason, der sich, wie man deutlich sah und hörte, nur noch unter Aufbietung letzter Willenskräfte beherrschen konnte. Er verbeugte sich höflich. »Nandi, ich danke Ihnen.«
»Wir sind alle sehr traurig«, sagte Saidin und trug die Blumen fort.
Bren wartete, weil er die Absicht hatte, mit Jason zu reden.
Doch kaum war Saidin gegangen, drängte Jason unwirsch rempelnd an ihm vorbei und eilte davon, auf sein Zimmer, wie Bren vermutete.
Das Zuknallen der schweren Tür bestätigte die Vermutung.
Bravo, dachte Bren; wie gut sich Jason doch zu benehmen verstand, abgesehen von seinem wüsten Abgang, den er, Bren, noch verzeihen mochte, obwohl ihm war, als krachte die Tür auf bloßliegende Nerven. Und er konnte auch über die Rempelei hinwegsehen. Er hatte nach der Pressekonferenz andere Probleme im Kopf. Ein Adrinalinschub machte sich bemerkbar, den er jetzt am allerwenigsten gebrauchen konnte.
Zu allem Überfluß wurde Onkel Tatiseigi morgen abend zu Besuch erwartet. Jason mußte sich spätestens dann unter Kontrolle haben. Dafür war Sorge zu tragen.
Die Tür war unverschlossen. Immerhin bunkerte er sich nicht ein. Oder war er etwa so von Sinnen, daß er ans Verriegeln nicht mehr dachte? Bren stieß die Tür auf und trat ein.
Jason lag auf dem
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