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Athyra

Athyra

Titel: Athyra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Brust
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Seite betrachtet bildete jeder Flügel ein fast gleichseitiges Dreieck, als habe die Natur dem Tier einen Schild gegen die Pfeile der Menschen geben wollen. Von vorne jedoch sah das Tier aus, als würde ein Schlangenkopf zwischen den Wänden zweier Häuser auf- und niederwippen, die man zu dicht aneinandergebaut hatte.
    Wieder breitete es die Flügel aus, und diesmal hob es auch ab. Einen Moment lang fiel es, bis ein Aufwind kam, dann erhob es sich rasch und flog über Savns Kopf. Seine Partnerin folgte ihm, und Savn sah sie davonfliegen.
    Sie kreisten aufwärts, bis er glaubte, sie würden in den Wolken verschwinden, dann stürzten sie so geschwind wieder nach unten, daß er fürchtete, sie wollten ihn angreifen, doch sie landeten in einiger Entfernung. Er konnte sie durch die Bäume kaum sehen – etwa vierzig Schritte abseits vom Weg.
    Savn stürzte durchs Dickicht. Kurz vor dem Baum, in dem sie hockten, stolperte er beinahe über das Schwert des Ostländers. Zweifellos hatte Vlad es fallengelassen, als er vorantaumelte. Savn nahm es am Griff auf und sah, daß die Klinge noch blutverschmiert war. Er fragte sich, wie es sich anfühlte, jemanden damit zu schlagen. Doch seine Gedanken wurden vom Gefauche eines der Jheregs unterbrochen. Erschrocken zuckte er zusammen. Anscheinend waren sie ungeduldig, daß er Vlad endlich fand.
    Also gut. Er sah sich weiter um und erkannte gleich etwas Dunkles, gar nicht so weit weg, das irgendwie unpassend wirkte. Ein paar Schritte näher, da wurde ihm klar, daß es sich um Vlads Stiefelspitze handelte, die in den Himmel wies.
    Savn wußte, noch bevor er den Ostländer erreicht hatte, daß dieser am Leben war, denn seine Atmung war deutlich zu sehen – hastig und flach. Wenn einer so atmete, bedeutete das etwas, aber er wußte nicht mehr, was. Oder vielleicht gab es auch mehrere Möglichkeiten. Blutverlust? Eine Gehirnerschütterung war es nicht, da war er sich sicher. Savn überlegte, ob nicht Vlads Lungen gerissen sein könnten, was bedeuten würde, daß er dem Ostländer lediglich beim Sterben zusehen konnte, sonst nichts.
    Savn kam neben ihm aus dem Dickicht, kniete sich hin und sah sich sein Gesicht an, wobei er sofort erkannte, daß die Haut einen eigenartigen Graustich hatte und die Lippen blau waren, sogar die Augenlider und Ohrläppchen. Diese Farben bedeuteten etwas, da war er sich sicher. Savn schüttelte den Kopf und dachte: Er stirbt.
    Und so schien es auch. Nicht nur, daß seine Lunge wohl gerissen war, auch sah es aus, als sei sein Genick gebrochen – die Venen und die Luftröhre ragten gräßlich innen gegen den Hals des Ostländers und in eigenartigem Winkel nach links.
    Er stammelte auch, doch nur unzusammenhängende Töne, Grunzer und Schreie, als habe er die Fähigkeit, Wörter zu bilden, verloren. Arme und Oberkörper bewegten sich schwach und ohne erkennbaren Zweck. Schreckliche Trauer erfüllte Savn – er war überzeugt, daß Meister Wack ihn heilen könnte, Lungenriß und Genickbruch hin oder her, doch Savn selbst wußte einfach nicht genug. Wenn Meister Wack hier wäre, würde er …
    Savn runzelte die Stirn. Wenn Vlad sich das Genick gebrochen hätte, könnte er sich dann so bewegen? Savn versuchte, sich daran zu erinnern, was Meister Wack über solche Verletzungen erzählt hatte, aber es gelang ihm nicht. Der Meister hatte vom Hals als dem Strom gesprochen, der das Gehirn nährte, und davon, daß das Gehirn, wenn das Rückgrat gebrochen ist, an ausbleibenden Gedanken verhungern würde. Vielleicht war es das, was er meinte; so etwas machte ein Körper, wenn keine Gedanken seine Handlungen leiteten. Es war grauenhaft.
    Und dann, wie um den furchtbaren Anblick zu unterstreichen, hörte Vlads wahnhaftes Gebrabbel so lange auf, daß Savn ein übles Saugen und Blubbern hören konnte, das irgendwo aus dem verwundeten Körper kam.
    Als Vlad wieder zu murmeln begann, fragte Savn sich, woher dieses Schmatzgeräusch gekommen war. Wären die Lungen angerissen, würde es das Zischen erklären, doch hörte sich ausströmende Luft so an? Wahrscheinlich, überlegte er. Und trotzdem …
    In Vlads Gürteln steckte ein Dolch. Er nahm ihn sich, und einer der Jheregs fauchte ihn an.
    »Schnauze«, sagte Savn abgelenkt. Er schnitt Vlads Wams in der Mitte auf und schob es beiseite, wodurch er eine dunkel behaarte Brust freilegte. War das bei Ostländern normal? Er dachte nicht weiter darüber nach, weil er die Wunde sofort sah – etwa in der Mitte des Körpers auf der rechten

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