Athyra
Seite. So viel Blut war gar nicht zu sehen – Savn wünschte sich fast, es gäbe mehr, dann müßte er sich nicht das rosafarbene Gewebe anschauen, das offen dalag – doch das bißchen Blut, das austrat, blubberte und schäumte.
Vlads Atem kam immer noch stoßweise und sehr flach. Komischerweise war aber nur eine Seite der Brust – die linke, auf der anderen Seite der Wunde – in Bewegung, hob und senkte sich. Und was Savn an dieser ungleichmäßigen Bewegung am meisten Sorgen bereitete, war, daß er davon schon einmal gehört oder es gesehen hatte.
Wo? Wann?
Abermals schaute er Vlad ins Gesicht; es war grau, doch nicht stärker als eben erst. Er sah sich Vlads Brust an, wie die linke Seite sich schnell hob und senkte, während die rechte sich kaum regte. Er kannte es und wieder nicht. Mit geschlossenen Augen versuchte er, sich Meister Wacks Worte ins Gedächtnis zu rufen.
»Ich habe es gefunden, weil ich danach suchte. So etwas ist nicht so leicht zu entdecken …«
Das konnte es nicht sein, weil es nämlich doch leicht zu entdecken war.
»Ich habe danach gesucht, weil ich die gebrochene Rippe ertastet habe. Und diese habe ich ertastet, weil es in der Seite eingedrückt war.«
Hmmm, mal überlegen. »Es«?
»… so etwas ist nicht so leicht zu entdecken bei einem Schwein.« Ja! Kutters Warzenschwein, das die Ziege gestoßen hatte. Kutter hatte Meister Wack zehn Minuten bekniet, sich das Tier anzusehen, weil Ammer irgendwoanders war, und schließlich hatte der Meister sich breitschlagen lassen, aber nur, weil er meinte, Savn könnte dabei etwas lernen. »Wir sind den Schweinen innen ganz ähnlich, Savn«, hatte er gesagt, und zwar vollkommen im Ernst. Ja.
Vlad murmelte immer noch. Savn versuchte, ihn zu ignorieren und sich zu erinnern, was der Meister gesagt hatte. So lange her war es nicht gewesen. »… ein Loch in die Herzhöhle geschlagen, deshalb ist die Lunge eingesackt … nein, nicht das Herz, die Herzhöhle, wo Herz und Lungen liegen. Das gleiche kann auch einem Menschen passieren, weißt du? Das wirst du eines Tages auch lernen. Jetzt geh eine Flasche mit Korken holen, dann siehst du mal, was ich mit ein bißchen Schilf alles machen kann. Gut, daß das ein Schwein ist; deren Lungen sind genauso wie unsere, wie ich dir schon vor einer halben Stunde erklärt habe, aber da hast du wahrscheinlich nicht zugehört, wie üblich. Auch das wirst du eines Tages lernen. Lauf jetzt los, bevor dieses stinkende Vieh den Löffel abgibt und mich zum Narren macht.«
Er erinnerte sich wieder an die Prozedur, und damit verging seine Hoffnung. Er hatte Wasser, das er für Vlad zum Trinken mitgenommen hatte und um die Fieberkobolde von der Wunde zu bannen, und in dem Behälter steckte sogar ein Wachskorken, aber er hatte kein Schilf und auch nichts, was als Ersatz dafür in Frage kam; keine der Pflanzen hier war sowohl hohl als auch weit genug für diese Zwecke, und es würde Stunden dauern, zum Fluß und wieder zurück zu laufen. Vlad sah nicht aus, als würde er noch Stunden überleben.
Er sah das Schwert, das er neben Vlad fallengelassen hatte. Falls es hohl war, wäre es absolut perfekt, lang und biegsam …
Er starrte die leere Scheide um Vlads Hüfte an. Wie gut war sie gearbeitet? Savn hatte schon aus Wasserbeuteln getrunken; Leder konnte auf jeden Fall wasserdicht gemacht werden.
Er mußte sich beeilen, doch zum Nachdenken war trotzdem Zeit. Wenn er vorausplante, was zu tun war, würde er weniger Zeit verschwenden, wenn jeder Schritt vorab bedacht war. Daß er die Schwertscheide fand, gab ihm wieder Hoffnung; er dachte nun, daß er alles, was er benötigte, hier irgendwo finden konnte; er mußte es nur beim ersten Versuch richtig hinbekommen. Wie konnte er den Einstich machen? Nein, das mußte er gar nicht; die Schwertwunde hatte bereits einen feinen Stich hinterlassen; nun mußte er sie nur noch versiegeln, während er daran arbeitete, und hinterher noch einmal. Wie?
Nun, zunächst würde seine Hand dafür ausreichen, aber später? Die Decke, die er von Tem mitgebracht hatte, war bestimmt nicht luftdicht; konnte er das ändern? War etwas Wasserdichtes gleichzeitig luftdicht? Mußte es ja; wie konnte Luft durchdringen, wenn Wasser es nicht konnte? Also dann, wenn er eine Kerze finden würde, könnte er Wachs auf die Decke tropfen lassen.
Er zog Vlads Gürtel aus, stieß auf seinen Beutel, schüttete ihn aus und sah sich den Inhalt an. Da lag ein Stück Feuerstein (wozu brauchte ein Zauberer
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