Athyra
einen großen Krug Wasser, verschlossen mit einem Wachskorken, und legte ihn vorsichtig ganz unten in den Sack, damit er nicht das Essen zerdrückte.
Er schlich nach hinten durch und fand eine leere Kammer, aus der er ein Handtuch, ein Laken und eine Decke holte. Vlad würde Tem bestimmt dafür bezahlen können, wenn …
Er nahm den Hinterausgang und überlegte, wo er mit Suchen beginnen sollte. Gewiß hatte Vlad sich teleportiert, und zwar schneller, als Savn für möglich gehalten hatte. Wie lange hatte es gedauert? Er wußte es einfach nicht; alles war so schnell gegangen. Aber mit Sicherheit war es rascher passiert als damals.
Was hatte er noch gesagt? Irgendwas darüber, wenn man in Eile war … Ja, genau, daß man einen Ort vorbereiten sollte, an den man sich teleportiert, ganz egal wo, man konnte unmöglich wissen –
Da erinnerte er sich plötzlich an seine erste Begegnung mit dem Ostländer, neben dem Kurvenstein, wie er mit dem Dolch Linien in den Sand zog.
Aber er hatte gesagt, das sei Hexenkunst gewesen.
Aber er konnte natürlich gut lügen.
Savn rannte die Straße zum Herrschaftshaus entlang, überzeugt, nun zu wissen, wo Vlad sich befand. Im Laufen fiel ihm ein, daß er gar keine Ahnung hatte, wieso er sich diese Mühe machte, und er fragte sich auch, wieso er den schweren Sack dabeihatte, der das Rennen so anstrengend machte, weil er ihm immer an die Hüfte schlug. Er wechselte die Hände und warf ihn sich über die Schulter, dann kam er an die Hügelkuppe und machte sich auf den Weg die lange, gewundene Straße bis zum Kurvenstein hinunter.
Wieso mache ich das? fragte er sich, und die Antwort kam so schnell wie die Frage selbst.
Würde er Vlad vergessen, würde er nichts mehr lernen, und was er bisher gelernt hatte, kam ihm wie eine Tür vor, die sich gerade so weit geöffnet hatte, daß er dahinter einen Ort sehen konnte, den er unbedingt besuchen wollte, vielleicht sogar für immer. Und er wußte, er würde sich ewig für seine Feigheit schelten, wenn er sich und den Ostländer auseinanderbringen ließe.
Er könnte es ja heimlich tun und trotzdem ungesehen Zeit mit Vlad verbringen, aber auch das kam ihm nicht richtig vor, und er hatte so eine Ahnung, daß er kein guter Schleicher war. Und wenn man ihn dann erwischte, wäre es schlimmer, als offen mit ihm gesehen zu werden.
Aber wenn er sich weiterhin mit dem Ostländer abgab, wie konnte er dann hier leben? Da kämen nicht immer freundlich gesonnene Jheregs, die –
Er schüttelte den Kopf, schreckte zurück vor der Frage, wie es gekommen war, daß, gerade als er von seinen Freunden verprügelt werden sollte, aus dem Nichts zwei … Nein. Darüber wollte er nicht nachdenken, jetzt nicht.
Und so kam es natürlich ausgerechnet da, daß er ein Rauschen in den Bäumen hörte, und ja, natürlich waren da zwei Jheregs, die arrogant in den Wipfeln thronten, fast, als würden sie ihn beobachten. Er blieb abrupt stehen und starrte sie an.
Sie hatten die gleiche Größe und Färbung wie die beiden, die er gesehen hatte – wann war das noch? Er war mit Polyi spazierengegangen, dann zu Meister Wack, an dem Tag als Frau Sullen sich den Arm gebrochen hatte, also hieße das …
Am gleichen Tag, als Vlad aufgekreuzt war.
Das waren dieselben, ganz klar; es zu leugnen wäre Blödsinn. Diese beiden hatten ihn gerettet, und sie hatten Vlad gerettet, und er hatte sie, wieder und wieder, gesehen, seit Vlad gekommen war. Vielleicht war sogar einer von denen der von Tems Dach, der alles Gesagte belauschte.
Er riß sich von dem Anblick los und legte die letzten zwanzig oder dreißig Schritte zum Kurvenstein zurück, keuchend und nach Blutspuren am Boden suchend. Und da waren sie auch, große rote Tropfen.
Wohin war der Ostländer gegangen? Er suchte nach einer Spur, aber anscheinend gab es keine.
Er drehte sich zu den Jheregs um, die ihn weiterhin beobachteten. Wenn er sie ansprach, konnten sie ihn verstehen? Natürlich nicht. Er runzelte die Stirn.
»Und?« sagte er laut. »Was wollt ihr? Wieso folgt ihr mir?« Er schluckte und hörte die Anspannung in seiner Stimme. Im Hinterkopf ertönte Meister Wack, wie er über Hysterie erzählte. Die Jheregs starrten teilnahmslos zurück. Er schloß die Augen, atmete tief durch, öffnete sie wieder. Erneut sprach er, diesmal langsam und deutlich: »Ich habe ihm zu essen mitgebracht. Wo ist er?«
Der kleinere der Jheregs breitete die Flügel aus, legte sie dann wieder an. Er schien zu zögern. Angelegt und von der
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