Atlan 06 - Rudyn 03 - Acht Tage Ewigkeit
kleinen bisschen mehr Selbstvertrauen wäre Esarja eine begnadete Technikerin gewesen, hätte sie sich weitergebildet und studiert. Doch dazu fehlte ihr der Mut; sie tat beruflich lieber, was man ihr sagte und verbot sich selbst alle höheren Ambitionen. Das Grundwissen der Robotik erwarb sie sich durch das Zerlegen und Instandhalten der diversen Haushaltsrobots – und ab und zu denen der Nachbarschaft.
Als Derius zum Jugendlichen herangewachsen war, hatten sich die Eltern nicht mehr viel zu sagen. Außer, wenn sie stritten. Dann redete seine Mutter für beide, schrill und keifend. Sein Vater schloss jedes Mal ergeben die Augen, während sie ihn traktierte. Derius beobachtete ihn dabei: Tief holte er Luft und ließ sie nur langsam wieder entweichen, als beuge er sich nur notgedrungen dem Druck, der auf ihm lastete. Eine Geste, die er immer häufiger zeigte, je älter Derius wurde.
Gregor Manitzke atmete.
Er war ein ohnmächtiger Mann, aber er atmete. Er atmete und hielt die Schnauze.
Ohne es zu bemerken, übernahm Derius in diesen Jahren von seinem Vater den unbewussten Wunsch, eigene Entscheidungen treffen zu dürfen. Er entwickelte mit jedem weiteren Lebensjahr einen immer unbändigeren Freiheitsdrang. Je älter er wurde, desto schwerer konnte er sich als funktionierendes Kettenglied in der rudynischen Unionsgesellschaft einfinden. Zu seinem Traum, zu einer Art fixen Idee wurde es, irgendwie aus der namenlosen Masse herauszutreten und Bedeutung zu erlangen. Doch es blieb in ihm ein nagendes Gefühl der Zerrissenheit zurück. Was er selbst empfand und das, was seine Umwelt von ihm forderte – es ging und ging einfach nicht zusammen.
Das ständig gepriesene Miteinander war für Derius nur eine schillernde Ölspur auf der Oberfläche eines in Morast und innerer Dunkelheit erstickenden Tümpels; eines Sumpfes, in den er sich nicht hineinziehen lassen wollte und doch schon mit einem Bein steckte.
Von seiner Mutter erbte Derius schon früh das Talent der Improvisation in Bezug auf technische Basteleien. Er half ihr beim Zerlegen und dem Zusammenbauen der Robotkomponenten und entwickelte ein feines Gespür für technische Zusammenhänge. Im Gegenzug zu seiner Mutter lernte er gern und viel. Bald schon wusste er mehr über Programmierung als sie, und die Basteleien an den beschränkten Haushaltsrobots begannen ihn zu langweilen.
Mit zwanzig schrieb er sich an der Suniastra ein. Wo andere ein wildes Leben begannen oder sich mehr oder weniger extremen Gruppen anschlossen, die auf die eine oder andere Weise Rudyn unsicher machten, zog er sich nach den Vorlesungen oft zurück. Von den studentischen Gruppierungen hielt er nichts. Er wurde schnell zum Eigenbrötler, der zu wenig unter die Leute kam und zuviel Zeit in den Uniwerkstätten verbrachte. Sein Studium absolvierte er indes mit Hingabe. Er verließ im Jahr 3075 im Alter von 24 die Suniastra mit zwei Abschlüssen: Positronikprogrammierer 2. Klasse und Biotech-Interface-Konfigurator.
Im letzten Jahr an der Suniastra lernte er den so gänzlich anderen Vitali Vagansk kennen. Der junge angehende Humanmediker erstreckte seine Studien nicht nur theoretisch auf die Lesespulen und Virtuallehrprogramme seines Fachbereichs, sondern auch praktisch auf die reichlich – und in seinem Fall höchst willig – zur Verfügung stehenden Studentinnen sämtlicher Jahrgänge und Fakultäten. Freizeit-Anatomie lautete der von Vitali geprägte Begriff dafür. Für Derius herrschte auf diesem Gebiet eher Ebbe. Er kam während der gesamten Suniastrazeit über zwei schon im Ansatz zum Scheitern verurteilte Annäherungsversuche nicht hinaus.
Als Derius im Anschluss an sein Studium seine zwei Pflichtjahre bei der Unionsflotte verbrachte, verloren er und Vitali nicht den Kontakt. Was die zwei aneinander band, hätten sie selbst nicht einmal zu sagen vermocht; wahrscheinlich war es ein Effekt der sich wechselseitig anziehenden Gegensätze.
Während Derius an Bord des Unionskreuzers BARNAUL ging, um in den Tiefen des Alls zu verschwinden, schrieben sie einander Hyperkom-Messages. Derius berichtete von Neutrinosternen und irisierenden Staubnebeln im Bielzen-Sektor und zunehmender Langeweile an Bord.
Vitali Vagansk kam erst gar nicht aus der Hauptstadt Genzez heraus; über vorwiegend weibliche Kanäle war es ihm gelungen, seinen Pflichtdienst direkt in Moltov Port zu absolvieren.
Moltov, einst ein namenloser kleiner Frachthafen weit außerhalb der Industriegebiete und ursprünglich nur
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