Atlan 06 - Rudyn 03 - Acht Tage Ewigkeit
verstehe, Mr. Manitzke. Offenbar sind Sie ein ausgemachtes Musterbeispiel eines pflichtbewussten Bürgers. Abermals bedanke ich mich im Namen der Obhutskräfte für Ihre Unterstützung.«
»Gern geschehen.«
»Natürlich werden wir den Fall untersuchen. Mr. Manitzke?«
»Sir?«
»Anscheinend erleben Sie heute Ihren ganz besonderen Tag. Meinen Glückwunsch dazu. Sagen Sie – Sie haben nicht zufällig vor, heute nach dem Abendessen noch weitere Heldentaten zu begehen? Vielleicht Rudyn vor dem Untergang zu bewahren?«
»Nicht nach dem Abendessen, Sir.«
Der Offizier lachte und drohte ihm spielerisch mit dem Zeigefinger, ehe er das Gespräch beendete. Das Holo über dem Armband erlosch.
Die FELIX WANKEL fuhr mit langsamer Kraft zur nächsten Anlegestelle. Graue Obhutsleute erwarteten die Fähre bereits.
Wie alle anderen Passagiere stieg auch Derius aus.
Er durfte den Kordon aus Absperrrobots passieren, durchquerte den Park und nahm eine Pneumobahn hinaus zum Moltov Port, wo er in einem der neueren Raumhafengebäude arbeitete.
Er wollte noch auf einen Sprung bei Fjodir Ganow vorbeischauen; seinem Vorgesetzten, dem etwas recht zu machen schier unmöglich war.
Zeigen Sie endlich mehr Einsatz, Manitzke! Das verstand Ganow unter Motivation. Nun, Derius würde Einsatz zeigen. Er wollte Ganow darum seine morgige Rückkehr während des letzten Urlaubstages sogar persönlich ankündigen.
Falls Derius geglaubt hatte, Ganow damit gnädiger stimmen zu können, so sah er sich getäuscht. Ganow besaß kein Verständnis für das, was er in den zwei Obhutsberichten lesen musste, die ihm das Kalfaktat für Innere Sicherheit in Kopie unmittelbar vor Derius’ Ankunft hatte zukommen lassen.
Atlan; Gegenwart
Ti Sun löschte alle Lampen bis auf eine. Die bisher stumm im Hintergrund gebliebene Frau, die ihr anfangs geholfen hatte, übernahm die Krankenwache.
Kan Yu griff seinen Mantel auf und bat uns, ihm in das Gästehaus des Dorfes zu folgen. Wir traten nacheinander ins Freie. Hinter der Muldenbrücke ging es zwischen den Felsblöcken mal rechts, mal links entlang.
»Wo sind Ihre Tiere?«, fragte ich.
Ti Sun machte eine Geste, die Sorglosigkeit ausdrücken sollte. »Die Wabyren? Irgendwo im Dorf. Sie spielen gern, wenn sie nicht schlafen.«
Da wir uns zu ebener Erde bewegten, schritten wir größtenteils unter den Kaibuns hindurch. Ich fragte die angehende Heilerin nach dem Nallathu. Er war, so erfuhr ich, das gewählte Oberhaupt aller Santuasi. Die Stellung des Nallathu beinhaltete die politische und geistliche Führung: Er war dabei kein Priester, eher ein Bewahrer der Tradition und der darauf basierenden Lehre.
Die Berg-Rudyner bewohnten etwa 2000 Quadratkilometer Fläche beiderseits der Gipfel des Holoi. Neben Gympmost gab es weitere Dörfer, die teilweise Hunderte von Kilometern auseinanderlagen und nur über schmale Bergpfade miteinander verbunden waren. Kan Yu und der Nallathu Kala Bhairava stammten aus einem zwei Tagesreisen entfernten Ort namens Shushna, der so etwas wie das geistige Zentrum darstellte. Sie befanden sich auf dem Weg zum heiligen Berg Dokailasa, dessen Zwillingsgipfel sich etwa eine Tagesreise von Gympmost entfernt in den Himmel streckten.
»Bald feiern wir Sahaja, das Fest der Wahrheit«, erklärte Ti Sun. »Die Pilgerreise des Nallathu zum Berg Dokailasa gehört zum Ritual, das dem Fest vorauszugehen hat. Schon morgen früh wird Kala Bhairavas Gruppe weiterziehen. Es ist, wie Sie sagen, ein echter Zufall, dass ausgerechnet heute, wo Sie seiner Hilfe am dringendsten bedürfen, Kan Yu als Gast in Gympmost weilt.«
Der Heiler, der an meiner anderen Seite ging, hatte Ti Suns Worte gehört. »Wir Santuasi glauben nicht an den Zufall. Wir sind dagegen überzeugt, dass hinter allem, was geschieht, eine große Absicht steht. Auch wenn sie sich unserem Verständnis zuweilen entzieht. Ist es ein Zufall, dass ich heute hier bin? Nein. Ich bin heute hier, weil das Sahaja-Fest bevorsteht. Ist das Fest ein Zufall? Nein, es wurde vor etwa vierhundert Jahren, als die ersten Santuasi in den Bergen zu siedeln begannen, begründet, um den Wert der Wahrheit und der natürlichen Ordnung zu betonen und uns jährlich erneut in Erinnerung zu rufen. War es Zufall, dass die ersten Santuasi dies für notwendig hielten? Nein. Sie erkannten die Fehler im System der Union, sie sahen, wohin der Weg der totalen Technikhörigkeit führen, welchen geistigen Nebel die Verleugnung der Individualität
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