Atlan 15 - Monolith 05 - Ceres am Abgrund
Hand und vor allem: Was macht sie damit?
Die Frau hielt den Stein in ihrer linken Hand und strich fast schon zärtlich mit der Rechten darüber. Kort schien es, als wollte sie den Brocken beschwören. Doch dann geschah das Unglaubliche.
Zehra Ryhan versenkte ihre rechte Hand in den Stein, gerade so, als würde es sich bei ihm um etwas Flüssiges handeln und nicht um etwas Massives. Kort traute seinen Augen nicht.
Einige Sekunden verharrte Telton Kort bewegungslos vor Staunen, dann schaltete er die Helmlampe wieder ein und sprach seine Kollegin an. »Was ist das , Zehra?«
Ryhan zuckte zusammen und blickte in seine Richtung. Sie hob langsam die Arme, um nicht geblendet zu werden. Aufgrund der Entfernung von etwa zehn Metern konnte er ihr Gesicht nicht klar erkennen, doch ihm schien, dass sie zutiefst erschrocken war.
Ein Stöhnen entrang sich ihrer Kehle, als würde sie große Schmerzen leiden, dann schüttelte sie das Handgelenk und der Stein flog aus ihrer Hand auf den Geröllhaufen zurück, von dem sie ihn genommen hatte.
»Du hast mich vielleicht erschreckt, Telton!«, stieß sie vorwurfsvoll hervor und massierte die rechte Hand. »Was willst du denn hier?«
»Ich fragte dich, was das eben war«, knurrte Kort, ohne auf ihren Vorwurf einzugehen. »Hast du gerade eben etwa in diesen Stein hinein gegriffen?«
Er kam sich unsagbar dumm vor, als er diese Frage stellte, vor allen Dingen weil er wusste, dass kein normaler Mensch etwas Derartiges machen konnte. Nur ahnte er noch nicht, dass Zehra Ryhan keine normale Frau war.
»Ich weiß wirklich nicht, was du meinst«, antwortete sie in schnippischem Tonfall. »Ich habe mir nur diese seltenen Steine angesehen und dabei einen in die Hand genommen.«
Kort wusste, dass sie ihn anlog. Irgendetwas verheimlichte sie vor ihm.
Warte nur, ich finde schon noch heraus, was du treibst , dachte er. Im selben Moment zitterte der Boden unter seinen Füßen erheblich. Ein lang gezogenes Geräusch ertönte, als würde etwas zerreißen. In diesem Bereich herrschte kein Vakuum. Das für Menschen unverträgliche Luftgemisch, das vor über fünfzigtausend Jahren verwendet worden war, leitete Schallwellen weiter.
Kort sah auf sein Chrono: Es war genau 11:21 Uhr Terrania-Zeit. Auf Ceres wie auch auf allen anderen Stützpunkten des Solaren Imperiums galt die Zeit der Erdhauptstadt.
»Hast du auch das Geräusch gehört, Telton? Was war das?« Zehra Ryhan drehte sich zu ihrem Begleiter um und sah ihn an. Er konnte ihr Gesicht nur schlecht hinter dem geschlossenen Kunststoffvisier des Helms erkennen. Die integrierte Lampe auf dem Helm blendete ihn. »Wir sollten besser wieder zurückgehen, ehe es zu spät ist.«
Telton Kort verdrehte die Augen und zählte innerlich bis zehn. Selbstverständlich hatte er das kratzende Geräusch gehört. Er war ja nicht taub; doch er wollte sich nicht verrückt machen lassen. Es gab des Öfteren leichte Beben auf Ceres, und seit er hier arbeitete, war dabei nie etwas passiert. Auch nicht in der Tiefe, in der sie sich aufhielten, annähernd 300 Kilometer unter der Oberfläche. Ihr wechselhaftes Wesen, einerseits auf Sicherheit bedacht zu sein, dann wieder rücksichtslos zu agieren, ging ihm außerordentlich auf die Nerven. Für Telton war Zehra Ryhan ein Fremdkörper in ihrer Gruppe. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man Zehra längst austauschen müssen, denn sie behinderte ihn nur bei seiner Aufgabe. Doch sein Chef sah das anders, obwohl Telton ihn schon mehrmals auf das Problem hingewiesen hatte. Dem Leiter der Eisgräberteams, Ender Partack, war das alles egal – er war ausschließlich an positiven Ergebnissen interessiert. Dieser Devise ordnete er alles andere unter. Misserfolge schienen in seiner Welt nicht zu existieren. Und Kort hatte noch nichts davon gehört, dass Partack jemals freiwillig Kompromisse eingegangen wäre.
»Du träumst, Zehra, die Außenmikrofone haben nichts übertragen«, versuchte er Ryhan zu beruhigen. »Das Team wartet auf uns. Lass uns endlich weiter …«
»Verdammt, Telton! Ich träume nicht!«, schnaubte die Eisgräberin. Sie kniff die Augen zusammen und zischte ihn wütend an: »Ich weiß doch genau, was ich gehört …«
Ein dunkles Geräusch ertönte, so als würden zwei riesige Mühlsteine aufeinander schleifen. Zehra Ryhan zuckte zusammen. Sie hob beide Hände, um ihren Begleiter aufmerksam zu machen.
»Da, hast du's gehört? Da war es schon wieder«, behauptete sie. Ihre Stimme wurde um mehrere Nuancen
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