Atlantis
war dazu angetan, hysterische Tiraden bei ihr auszulösen. In dieser Verfassung war sie furchteinflößend.
Bobby lächelte. »Ist schon okay, Mama.«
Sie lächelte zurück und machte dann eine Kopfbewegung zu dem Glas mit der Aufschrift FAHRRADGELD. »Borg dir doch davon ein bisschen was aus - warum nicht? Gönn dir was. Ich werd’s nicht weitersagen, und du kannst es ja später wieder zurücklegen.«
Er behielt sein Lächeln bei, aber nur mit Mühe. Wie lässig sie das sagte, ohne daran zu denken, wie wütend sie wäre, wenn Bobby vorschlagen würde, sie solle doch ein bisschen was vom Stromgeld, vom Telefongeld oder von dem borgen, was sie beiseitelegte, um sich »Bürokleidung« zu kaufen, nur damit er sich im Colony ein paar Hotdogs und vielleicht ein Stück Obstkuchen mit Eis und Schlagsahne holen könne. Wenn er ihr forsch-fröhlich erklären würde, er werde es nicht weitersagen, und sie könne es später ja wieder zurücklegen. Ja klar, da hätte er sich schon längst eine eingefangen.
Als Bobby im Commonwealth Park ankam, hatte sich sein Ärger gelegt, und das Wort knickerig war aus seinem Gehirn verschwunden. Es war ein schöner Tag, und er hatte ein wundervolles Buch dabei, das er auslesen wollte; wie konnte man unter solchen Umständen verärgert und genervt sein? Er fand eine abgelegene Bank und schlug Herr der Fliegen wieder auf. Er musste das Buch heute auslesen, musste herausfinden, wie es ausging.
Für die letzten vierzig Seiten brauchte er eine Stunde, und während dieser Zeit nahm er seine Umgebung überhaupt nicht wahr. Als er das Buch schließlich zuklappte, sah er, dass er lauter kleine weiße Blumen auf dem Schoß hatte. Auch seine Haare waren voll davon - er hatte in einem Schneesturm aus Apfelblüten gesessen, ohne etwas davon zu merken.
Er wischte sie weg und schaute dabei zum Spielplatz hinüber. Kinder wippten, schaukelten und schlugen den Ball an der Schnur um seinen Pfosten. Sie lachten, spielten Nachlaufen und kugelten sich im Gras. Konnten solche Kinder wirklich zu Geschöpfen werden, die nackt herumliefen und einen verwesenden Schweinskopf anbeteten? Es war verlockend, solche Ideen als Fantastereien eines Erwachsenen abzutun, der keine Kinder mochte (davon gab es jede Menge, wie Bobby wusste), aber dann warf Bobby einen Blick in den Sandkasten und sah dort einen kleinen Jungen sitzen und herzzerreißend weinen, während ein anderer, größerer Junge neben ihm saß und unbekümmert mit dem Tonka-Laster spielte, den er seinem Freund aus den Händen gerissen hatte.
Und der Schluss des Buches - war es ein Happy End oder nicht? So verrückt ihm so etwas noch vor einem Monat
vorgekommen wäre, er konnte es im Grunde nicht sagen. Noch nie in seinem Leben hatte er ein Buch gelesen, bei dem er nicht wusste, ob das Ende gut oder schlecht, fröhlich oder traurig war. Aber Ted würde es wissen. Er würde Ted fragen.
Bobby saß immer noch auf der Bank, als Sully eine Viertelstunde später in den Park getanzt kam und ihn sah. »Na, du alter Saftsack!«, rief Sully. »Ich bin bei dir vorbeigegangen, und deine Mutter hat gesagt, du wärst hier oder vielleicht im Sterling House. Hast du das Buch endlich durch?«
»Ja.«
»War’s gut?«
»Ja.«
S-J schüttelte den Kopf. »Ich hab noch nie ein Buch gelesen, das mir wirklich gefallen hat, aber wenn du’s sagst, glaub ich’s dir.«
»Wie war das Konzert?«
Sully zuckte die Achseln. »Wir haben getrötet, bis alle gegangen sind, also war’s für uns jedenfalls gut, schätze ich. Und rate mal, wer die Woche im Camp Winiwinaia gewonnen hat?« Camp Winnie war das YMCA-Lager für Jungen und Mädchen am Lake George, in den Wäldern nördlich von Storrs. Jedes Jahr veranstaltete das Harwich Activities Committee eine Verlosung, bei der man eine Woche in diesem Camp gewinnen konnte.
Bobby verspürte einen Stich des Neids. »Sag bloß.«
Sully-John grinste. »Ja, Mann! Siebzig Namen im Hut, mindestens siebzig, und derjenige, den dieser glatzköpfige alte Saftsack Mr. Coughlin gezogen hat, war John L. Sullivan
junior, 93 Broad Street. Meine Mutter hätte sich beinahe in die Hosen gemacht.«
»Wann fährst du?«
»In der Woche nach Schulschluss. Meine Mutter versucht, zur selben Zeit in der Bäckerei ihre Woche Urlaub zu nehmen, damit sie Oma und Opa in Wisconsin besuchen kann. Sie nimmt den großen grauen Hund.« Die großen F waren die Sommerferien; die große Show war Ed Sullivan am Sonntagabend; der große graue Hund war
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